Grappa 13 - Grappa und die acht Todsuenden
fragte Nikoll.
»Zurzeit habe ich nur Eberhard«, gestand ich ein. »Obwohl ...«
»Was?«
»Ich habe einen netten Nachbarn«, erzählte ich. »Rechtsanwalt. Aber zu jung für mich. Obwohl ...«
»Schon wieder obwohl?«, lächelte die Blonde.
»Eigentlich ist er im richtigen Alter«, stellte ich fest. »Ende dreißig – das passt eigentlich doch.«
»Wie sieht er aus?«
»Das Schönste an ihm sind seine Augen: kohlenschwarz. Und er hat sehr lange dichte Wimpern. Er ist Türke.«
»Bist du verliebt in ihn?«
Ich lachte. »Nein, so weit ist es noch lange nicht. Sein Balkon hat meinen Eberhard vor dem Sprung in den Tod bewahrt. Darauf haben wir ein Glas Wein zusammen getrunken.«
»Und wie findest du meinen Onkel?« Wir waren vor der Tür des Konferenzraums angelangt.
»Du weißt, dass wir gestern essen waren?«
»Er hat's mir erzählt.«
»Er ist ein interessanter Mann«, wich ich aus.
»Ja, das ist er. Darf ich dir auch einen Rat geben?«
»Natürlich.«
»Er ist schwierig ... und er hat bisher noch jede Frau ins Unglück gestürzt.«
»So schlimm kam er mir gar nicht vor. Er ist, glaube ich, ein bisschen zu eitel und verliert keine Zeit beim Baggern.«
»Nimm lieber den Rechtsanwalt!«, riet Nikoll mir.
Dorische Säulen
Nach der Konferenz war das Foto aus England da. Nikoll zeigte es mir. »Das ist Mandy Turner – vor zwanzig Jahren.«
Im Vordergrund des Bildes sah ich eine junge Frau, so um die zwanzig, blond, blass und sehr englisch aussehend. Sie stand vor einem großen Haus, neben sich zwei Kinder: ein Junge und ein Mädchen. Der Junge war etwa zehn bis zwölf Jahre alt, das Mädchen jünger, ich schätzte es auf acht.
»Das sind bestimmt die Kinder, die Mandy Turner betreut hat«, murmelte ich.
»Ziemlich großes Haus«, stellte Nikoll fest. »Hast du eine Ahnung, wo es stehen könnte?«
»Keinen blassen Schimmer.«
Ich ließ meine Augen über die Villa wandern. Sie hatte eine breite Front, den Eingang zierten zwei nachempfundene dorische Säulen, die Fenster waren hoch und schmal. Zu der zweiflügeligen Eingangstür führte ein Treppenaufgang, dessen Stufen am Rand abgerundet waren.
»Sieht aus wie die Hütte eines Schlotbarons aus dem letzten Jahrhundert. In solchen Villen haben Bergwerksdirektoren oder Stahlbosse gehaust. Die Familie scheint offenbar gut betucht gewesen zu sein.«
»Wenn wenigstens ein Straßenschild zu erkennen wäre«, seufzte Blondie.
Mir kam eine Idee. »Ich werde das Foto mal einem Mitarbeiter des Stadtarchivs zeigen. Die haben doch einen Katalog der Gebäude erstellt, die für die Geschichte der Region von Bedeutung sind. Wäre doch gelacht, wenn niemand das Haus identifizieren könnte! Bei uns im Pott wird schließlich alles unter Denkmalschutz gestellt, was älter als zehn Jahre ist.«
Aber wir hatten Pech: Die Recherche beim Archiv ergab, dass niemand das Haus kannte.
Langsam wurde ich ungeduldig. Schon wieder eine Sackgasse!
Frustriert räumte ich auf meinem Schreibtisch herum, dabei fielen mir wieder die letzten Artikel des ersten Opfers, Johannes Schadewald, in die Hände. Dass das Bierstädter Tageblatt die Schandtaten des Schmuddelreporters jahrelang veröffentlicht hatte, trug nicht gerade zur Ehre unseres Blattes bei.
Aber Peter Jansen war erst Chef geworden, als Schadewald schon ausgezählt worden war, und hatte das Blatt zum Glück in eine andere Richtung gelenkt.
Schadewalds Artikel hatte ich bisher nur flüchtig durchgesehen, jetzt nahm ich mir die Zeit, sie zu lesen.
Ich ordnete die Artikel in zwei Gruppen: die, die zeitlich nicht zum Aufenthalt von Mandy Turner in Bierstadt passten, und die anderen, die etwa in jene Zeit fielen.
Der zweite Haufen war sehr viel kleiner. Ich vertiefte mich in die Lektüre.
Schadewald hatte über einen Massenunfall auf der Autobahn berichtet, bei dem fünfzehn Menschen ums Leben gekommen waren, manche waren in ihren Autos verbrannt, andere grauenhaft zerquetscht worden – Fotograf Schadewald hatte alles gnadenlos abgelichtet und eine reißerische Story dazu geschrieben.
Oder der Brand eines Hauses in Bierstadt: fast eine komplette Familie war dabei ums Leben gekommen. Sein Foto zeigte die Ruine des Gebäudes, sodass das Ausmaß des Feuers jedem Blinden klar wurde.
Ich wollte den Artikel wieder weglegen, als ich stutzte. In meinem Hirn hatte es ›Klick‹ gemacht.
Ich schaute mir das mehrspaltige Foto der abgebrannten Hausruine genauer an. Es war nicht mehr viel zu erkennen, doch eines war
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