Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
den Platz auf mich zu. Natürlich hatte er die Pfeife im Mund und den üblichen bärbeißigen Ausdruck im Gesicht. Er trug eine abgewetzte Wildlederjacke mit Hirschhornknöpfen.
»Liebe gnädige Frau«, näselte er. »Es ist mir ein echtes Vergnügen.«
»Das ist wirklich nur Ihr Problem«, meinte ich.
»Lassen Sie uns woanders hingehen«, sagte er. »Sie sitzen im teuersten Café der Welt.«
»Ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Wollen Sie Ihren Espresso nicht austrinken?«, fragte er mit Blick auf meine Tasse.
»Nein. Ich überlasse ihn gern Ihnen. Wollen Sie? Er ist schon bezahlt.«
»Wie großzügig, Verehrteste, aber ich trinke lieber deutschen Kaffee. Und jetzt zeige ich Ihnen mal ein wirklich nettes Café. Es liegt ganz in der Nähe.«
Er ging mit eiligen Schritten voran und ich folgte ihm zu einem Haus direkt an einer kleineren Wasserstraße. Im Erdgeschoss befand sich ein winziger Raum mit Bistrotischen.
Rabatt war wohl hier bekannt, denn der Kellner begrüßte ihn. Der Oberstaatsanwalt parlierte in fließendem Italienisch.
Wir setzten uns, Rabatt kramte aus seiner Jacke einen Beutel mit Tabak und begann die Pfeife zu stopfen. Für alle Fälle rümpfte ich schon mal die Nase: »Müssen Sie die Luft hier verpesten?«
»Ja«, antwortete er mit provozierender Schlichtheit.
Das läuft nicht gut, dachte ich.
Er grinste, hielt das Streichholz an den Tabak und zog die Luft durch die Pfeife. Er sah aus wie ein Fisch, der nach Insekten schnappt. Jetzt blies er den Qualm auch noch genau in meine Richtung! Sofort wedelte ich ihn weg.
»Meine Güte! Sie sind vielleicht eine Zicke«, brabbelte er – das Holz zwischen den Zähnen. »Ich dachte, das gibt sich, wenn man sich näher kennen lernt.«
»Damit sollten Sie nicht rechnen!«
»Sie tun wirklich alles, um mich zu ärgern«, wunderte sich Rabatt.
»Sie doch auch!«
Der Kellner trabte an und stellte zwei große Milchkaffee auf den Tisch.
»Es war ein Fehler, Sie um Hilfe zu bitten. Ich geh dann mal wieder.«
»Lassen Sie uns wie erwachsene Menschen reden«, lenkte er plötzlich ein. »Ich brauche Ihre Unterstützung genauso wie Sie meine. Bitte!«
Er lächelte unbeholfen und legte die Pfeife beiseite – vermutlich eine Art vertrauensbildende Maßnahme. »Was erwarten Sie von mir?«, fragte Rabatt.
»Ich brauche Kontakt zu diesem Kommissar Brunetti. Mir allein wird er nichts sagen, weil ich hier keine offizielle Funktion habe. Außerdem kann ich kein Italienisch. Und Sie kennen ihn ja schon ... Ich dachte, dass er mal nachsieht, ob aus dem vergangenen Sommer irgendein Ereignis aktenkundig ist, das mit den Leuten im Palazzo Contarini zu tun haben könnte.«
»Das habe ich schon längst veranlasst. Was bekomme ich dafür, wenn ich Sie über das Ergebnis informiere?«
»Was wollen Sie denn?«
»Sie schreiben meine Weste wieder weiß.«
»Vielleicht sind Sie der Mörder!«, rief ich aus. »So eine Zusage kann ich nicht geben.«
»Hören Sie jetzt mal gut zu.« Rabatt beugte sich vor und war plötzlich ernst. »Ich bin kein Mörder und ich kenne diese beiden Huren nicht, wegen derer man mich beurlaubt hat. Warum kapieren Sie nicht, dass wir im selben Boot sitzen? Ich will den Mörder genauso finden wie Sie, will genauso wie Sie wissen, wo das Motiv zu den Morden liegt. Geht das endlich in Ihren bornierten Schädel?«
Muscheln und Schnecken
Rabatt hatte schließlich doch versprochen, mich sofort zu informieren, wenn sich der Polizeimann mit Ergebnissen meldete, Kati lag krank und schwitzend im Bett – also zwei gute Gründe, um zum Lido, dem Seebad der Stadt, zu fahren und Touristin zu spielen.
Hier hatte Thomas Manns Held Gustav von Aschenbach seine letzten Atemzüge getan, nachdem er dem Jungen Tadzio ein letztes Mal beim Herumtollen zugesehen hatte.
Ich hatte nicht vor, am Lido zu entschlummern, wollte aber wenigstens mal dort gewesen sein. Auf dem Weg dahin ging es ein Stück übers offene Meer. Dafür wurden größere Schiffe eingesetzt, die ab San Marco fuhren. Das offene Deck des Bootes war mit Bänken ausgestattet, die von der Sonne leicht angewärmt waren. Langsam behauptete sich der Frühling. Auch die Bäume und Sträucher waren schon mit einem grünen Schimmer überzogen – ich konnte es vom Deck aus beobachten.
Erst jetzt fiel mir auf, was mir in der Innenstadt Venedigs fehlte: etwas Grünes, Natürliches. Dort gab es nur Stein, Wände, Glas, Wasser und ab und zu mal einen Blumentopf auf dem Balkon oder Lorbeerbäume in
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