Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
groß und kräftig. Außerdem hatte ich ihn bis zuletzt im Blick.«
»Er war also da?«
»Ja, er saß ganz vorn. Lauschte dem Gesang.«
»Der Attentäter hat sich auf jeden Fall hinter mir aufgehalten.«
»Erzähl mir den Rest der Geschichte«, bat ich.
»Plötzlich verschwand der Mann in einer Gasse. Ich rannte hinterher und dann war die Straße zu Ende. Da gab es nur noch ein paar Treppen, die in die Lagune führten. Der Typ hatte eine Gondel erwischt und die wollte gerade ablegen. Ich stürzte runter, schrie was, doch die Gondel hatte schon losgemacht und war bereits auf dem Kanal. Und dann sah er zu mir hin.«
»Dann hast du ihn ja doch gesehen?«
»Ja und nein. Er trug eine weiße Maske, die Stirn und Augen bedeckte. Es sah so grauenvoll aus, dass ich auf den Stufen ausrutschte und in diesem dreckigen Wasser landete.«
»Warum hast du mich denn nicht sofort anrufen? Wir hätten dich doch abholen können?«
»Wie denn? Mein Handy ist im Wasser geblieben. Außerdem wusste ich nicht, wo ich war. Ich ging in eine Kneipe in der Nähe und die gaben mir ein paar Handtücher. Danach fragte mich mühsam durch und lief und lief und stand dann irgendwann vor unserem Hotel.«
»Sei froh, dass der Mörder dich nicht erwischt hat. Alles andere spielt keine Rolle.«
Fiebrig
Die Leser des Bierstädter Tageblattes mussten bei Laune gehalten und mein Chef Peter Jansen musste im Glauben gelassen werden, dass die Dienstreise nach Venedig Sinn machte. Der Abend gestern taugte jedenfalls dazu, in einem Artikel beschrieben zu werden. Und zwar blumig.
Ich stand früh auf, warf den Laptop an und begann mit dem Artikelschreiben.
SCHÜSSE IN VENEDIG – SÄNGERIN ÜBERLEBT ATTENTAT
Sie sang ein Lied von Liebe und Verrat, als plötzlich Schüsse auf sie abgegeben wurden: Sängerin Veronica Franco überlebte das Attentat und wurde mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht.
Die italienische Künstlerin hat im vergangenen Sommer an einem Kreativseminar im Palazzo Contarini del Bovolo teilgenommen. Mit dabei waren auch die vier Bierstädter Mordopfer: DGB-Chef und Hobbymaler Ansgar Hunze, Mundartdichter Karl Krawottki, die ›Musen‹ Puppa und Rosi Ischenko.
Die Ermittlungsbehörden sind inzwischen überzeugt: Der unbekannte Mörder hat es auf die Seminarteilnehmer abgesehen!
Einer der Zuhörer des Konzertes in der Kirche in Venedig war auch der bislang verschwundene Komponist Ben Wiesengrundel, der ebenfalls Trainer beim Venedig-Seminar war. Was ist während des Seminars geschehen?
Nach dem Anreißer, der auf der Seite eins positioniert werden sollte, schrieb ich eine sehr persönliche Reportage über das Konzert mit angepeilter Todesfolge.
Ich schilderte die Flucht des Attentäters so dramatisch, wie sie mir von Kati geschildert worden war: nachts in einer Gondel durch das Gewirr kleiner und großer Kanäle – die Waffe unter einem schwarzen weiten Umhang verborgen und das Gesicht mit der geheimnisvollen Maske unkenntlich gemacht.
Ich hatte sie mir en détail beschreiben lassen, in meinem Buch geblättert. Das Outfit des Attentäters wurde maschera nobile genannt, die weiße Gesichtsmaske volto und der mutmaßliche Mörder hatte die ursprünglichste der venezianischen Verkleidungen gewählt. In den Geschäften gehörten die schwarzen Mäntel und die merkwürdigen volti zum Standard.
Jetzt würde ich erst einmal frühstücken und dann den Hotelier überreden, mich an den Rechner zu lassen, um Jansen den Artikel zu schicken.
Das Buffet bot heute eine nette Überraschung: Statt der schlappen Croissants gab es knackiges Weißbrot. Der Kaffee war gerade frisch gekocht worden und ich war allein im Frühstücksraum, sodass ich mit Jansen telefonieren konnte, ohne jemanden zu stören.
»Was gibt es bei euch Neues?«, fragte ich.
»Die müssen Frau Hunze wohl wieder freilassen«, berichtete mein Chef. »Sie bleibt dabei, dass sie nicht weiß, wie der Schlüssel fürs Schließfach in ihre Wohnung gekommen ist. Tatsächlich konnte sie nachweisen, dass ziemlich viele Leute in den letzten Tagen bei ihr waren – jeder von ihnen hätte das Ding hineinschmuggeln können. Jetzt überprüft Dr. Körner die Gäste einer Party, die Frau Hunze gegeben hat. Die Witwe behauptet, dass es an diesem Abend passiert sein muss. Du siehst, Grappa-Baby, dass wir noch kein Stückchen weitergekommen sind. Alle unsere Hoffnungen ruhen auf dir.«
Ich berichtete ihm kurz von den neuesten Entwicklungen und schickte ihm meinen Artikel per E-Mail. Ein
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