Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Keramikbehältern, die die Türen flankierten.
Ich verließ das Boot und lief Richtung Sandstrand. Die Utensilien fürs Badevergnügen im Sommer waren noch zusammengerückt und mit Planen überdeckt, manche angekettet an Betonpfosten. Der Sand war überraschend sauber, nur ab und zu ein wenig Seetang, einige zerknautschte Plastikflaschen und die Gräten verstorbener Fische, Muscheln und auseinander gerissene Krebsverschalungen.
Ein Hocker mit Klappbeinen war zum Meer gerückt worden; ich setzte mich und schaute aufs Wasser.
Ich kramte den Mann aus der Tasche. Wie hatte er den Lido beschrieben?
Es war unwirtlich dort. Über das weite, flache Gewässer, das den Strand von der ersten gestreckten Sandbank trennte, liefen kräuselnde Schauer von vorn nach hinten. Herbstlichkeit, Überlebtheit schien über dem einst so farbig belebten, nun fast verlassenen Lustorte zu liegen, dessen Strand nicht mehr reinlich gehalten wurde ...
Ja, das war die Beschreibung des letzten Tages im Leben des verliebten Dichters. Aschenbach bildet sich noch ein, den schönen Jungen Tadzio winkend zu sehen – wie den griechischen Gott Hermes, der die Seelen der Toten in die Unterwelt führt –, dann fällt sein Kopf auf die Brust und er stirbt. Ich las die letzten Sätze der berühmten Novelle: Minuten vergingen, bis man dem seitlich im Stuhl Hinabgesunkenen zur Hilfe eilte. Man brachte ihn auf sein Zimmer. Und noch desselben Tages empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von seinem Tode.
Wie sich die Sprache seit Mann verändert hatte. Aber verbessert hatte sie sich wohl nicht gerade.
Ich zog meine Schuhe aus und befreite mich von den Strümpfen – wollte Wasser spüren und Sand zwischen den Zehen. Kräuselnde Schauer, die von vorne nach hinten liefen – ja, das Wasser verhielt sich genau so, wie es Mann beschrieben hatte, es kam an, umrundete meine Füße, ließ sie ein wenig im weichen unterspülten Sand versinken und gab sie wieder frei.
Plötzlich Kindergeschrei – wie in der Novelle!
Da waren drei Kinder, zwei der Jungen balgten sich, einer von ihnen größer und stärker als der andere. Sie kamen näher und ich bemerkte, dass eines der Kinder, das zarteste nämlich, blauschwarzes Haar hatte und der große Junge es ziemlich ärgerte. Der dritte grölte und feuerte die Ringkämpfer an. Der schwächere kniete angeschlagen im Sand.
Dann rappelte sich der Kleine nochmal auf, wurde von den anderen beiden aber schnell wieder niedergeworfen. Die Gruppe hatte sich etwa auf drei Meter an mich herangespielt und die Kinderbalgerei nahm an Schärfe zu. Ich schaute genauer hin.
Der Junge am Boden war ein kleines Mädchen; es guckte mich an, rief etwas und begann zu weinen. Wut packte mich, ich eilte zu den Kindern, brüllte etwas auf Deutsch. Die beiden Jungen ließen von dem Mädchen ab und machten sich aus dem Sand.
Ich half der Kleinen auf. Ihre Wangen waren sandig, die Nase verrotzt und die Haare dreckig. Sie hatte mandelförmige Augen und war eindeutig asiatischer Abstammung. Ich fand das beruhigend; die Rettung eines blonden Tadzios hätte mich kurzzeitig an meinem Verstand zweifeln lassen.
Das Mädchen hatte sich inzwischen beruhigt, blickte plötzlich an mir vorbei zu den Häusern. Dort stand eine Frau, noch weit entfernt, und suchte mit den Augen den Strand ab.
»Mama?«, fragte ich die Kleine. Sie nickte, wollte schon losstürmen, verharrte dann doch und zog etwas aus der Tasche ihrer Jeans. Es war eine graue Muschel, die innen schillerte. Sie gab sie mir und rannte ihrer Mutter entgegen. Ich sah noch, wie die beiden hinter der erhöhten Strandpromenade verschwanden.
Das Boot zurück in die Stadt würde in etwa fünfzehn Minuten ablegen. Im Sommer würde es hier ganz anders aussehen; ich versuchte, es mir vorzustellen: belebte Strände, planschende Menschen, Eisverkäufer und mobile Buden, die Erfrischungen anboten.
Ich setzte mich auf eine Bank an der Anlegestelle und schaute zum Meer hin. Wenn man immer geradeaus übers Meer fuhr, würde man auf der griechischen Insel Korfu stranden.
Am Horizont erschien der Wasserbus. Kinder liefen nach vorn und betrachteten plappernd und aufgeregt das Anlegemanöver des großen Schiffes. Ich erhob mich von der Bank und stolperte, denn mein Fuß war eingeschlafen. Jemand fing mich auf und ich sah nach oben. Es war ein Mann, groß und schwer, mit dunklem Haar, das an der Stirn zurückwich, bleichem Teint und blauen Augen. Er sagte etwas zu mir, ich murmelte ein
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