Grappa 16 - Rote Karte für Grappa
Spiele in einen Streik trat und sich auf dem Platz wenig bewegte.
»Lass uns morgen weiterreden, wie wir die Sache angehen«, meinte Jansen. »Und jetzt ab ins Bett, Grappa.«
Doch mir war noch nicht danach. Für diese Jahreszeit war es heute ungewöhnlich mild gewesen. Ich öffnete die Balkontür und atmete die kühle, aber nicht kalte Luft ein. In den Balkonkästen waren die Blumen vertrocknet, lediglich Lavendel und Minze hatten durchgehalten. Ich ließ meinen Handrücken über die Minze gleiten und sog den wunderbaren Geruch ein.
Aus einem erleuchteten Fenster im Haus gegenüber tönte Musik. Die Sängerin hatte eine tiefe Stimme und der Schmerz um eine verlorene Liebe wurde von einem Solo-Saxophon geteilt. Zwei Menschen umarmten sich im Schummerlicht und ich dachte an meinen letzten Lover, den Venezianer mit dem Faible für Eis, Essen und Erotik.
Ruf mich bitte an, hatte er geschrieben, ruf mich an, sobald es dir besser geht. Besser noch, besuche mich.
Das Lied gegenüber war zu Ende gesungen, das Licht ging aus.
Michelangelo ging immer sehr spät ins Bett. Ich stellte mir vor, wie es sein würde, jetzt mit ihm zu sprechen und ihn zu fragen, ob seine Einladung ernst gemeint gewesen war.
Nein, das war keine gute Idee. Ich hatte in den nächsten Wochen viel zu viel zu tun. Langsam wurde mir kalt und ich ging ins Zimmer zurück.
Er hätte genug Gelegenheit gehabt, sich nach meinem Befinden zu erkundigen und mit mir zu sprechen. Er hatte alle meine Telefonnummern.
Ciao, bello, dachte ich. Mein venezianisches Abenteuer war vorbei. Es war keine Liebe gewesen, nur gegenseitige Anziehung auf Zeit.
Ich wollte mich ablenken, fuhr den PC wieder hoch und googelte nach Toninho.
Der fünfundzwanzigjährige schwarze Brasilianer mit dem goldenen Fuß. Toninho, der zwanzigjährige Millionenverdiener, Toninho, der lustige Familienmensch, der vom Feiern genauso viel verstand wie vom Geldausgeben. Ein hübscher Kerl, der nicht nur Begehrlichkeiten bei Frauen wecken dürfte, sondern auch Neid bei Männern. Dass er eine pechschwarze Haut hatte, machte ihn einem bestimmten politischen Spektrum nicht eben sympathisch. Er hatte etwas erreicht – trotz Hautfarbe und Herkunft. Sich mit zwanzig aus einem Slum in Südamerika bis in eine weiße Villa im Bierstädter Süden hochgearbeitet zu haben – dazu gehörte nicht nur Glück, sondern auch Können und eine außergewöhnliche Begabung.
Ich geriet auf die schwarz-gelbe Fanseite. Im Galeriebereich konnten die Anhänger des Vereins ihre Fotos von Spielen und Spielern veröffentlichen. Die Gelegenheit wurde heftig genutzt, es gab über dreißig Seiten mit mehreren hundert Fotos.
Zum Glück hatte der Webmaster Ordnung hineingebracht. Unter dem Buchstaben T wie Toninho waren alle Fotos anzusehen, die mit dem Stürmerstar zu tun hatten. Toninho privat – hieß eine Dokumentenmappe.
Ich klickte darauf – und staunte: Margit Sauerwald und Toninho, eng umschlungen auf der Tanzfläche einer angesagten Diskothek. Der Hobbyfotograf hatte sogar einen Text dazu geschrieben:
Unser Toninho am Tag vor dem Champions-League-Halbfinale nachts um ein Uhr in der Disko Aida mit Margit Sauerwald, der Tochter des Präsidenten. Toninho kippte einen Drink nach dem anderen und bekam am Tag danach die Beine nicht hoch: Er verschoss einen Elfmeter und wurde vor der ersten Halbzeit ausgewechselt. Na, dann Prost!
Das klang nicht besonders begeistert. Ich holte mir die Spielkritik auf den Schirm. Im Diskussionsforum bekam Toninho ebenfalls sein Fett weg: Die Gazelle mutiert zur lahmen Ente war noch eine der schmeichelhafteren Bemerkungen.
Immerhin wusste ich jetzt, dass es zwischen Margit und dem entführten Fußballer eine Verbindung gab.
Auf dem Bild lachte Toninho in die Kamera. Er hatte beide Arme um Margits Körper geschlungen: die eine Hand auf ihrem Rücken, die andere ein bisschen unterhalb davon – fast schon auf dem Po. Eine besitzergreifende und sehr selbstbewusste Geste. Sie hatte ihre Wange an seine Brust gelegt.
So sieht eine verliebte Frau aus, dachte ich und seufzte.
Schwarz und rot
Die Temperaturen hatten sich in der Nacht wieder daran erinnert, dass das Jahr dem Ende zuging, und es hatte zu regnen angefangen. Ich verließ das Haus früher als gewöhnlich, wollte vor den anderen in der Redaktion sein, um die Agenturmeldungen durchzusehen und die Faxe zu checken.
Auf dem Weg zum Parkplatz erwischte mich eine feuchte Windböe und ich bedauerte, dass ich meine zahlreichen Schirme
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