Grappa 16 - Rote Karte für Grappa
dass ich nicht befugt bin ...«
»Schon klar«, unterbrach ich ihn. »Alle Auskünfte erteilt die Staatsanwaltschaft, ich weiß, ich weiß ...«
Wir wünschten uns gegenseitig einen schönen Tag.
Ich kannte drei Pensionen, in denen die Kripo Gäste von außerhalb einzumieten pflegte. Ich rief alle drei an, nannte einen falschen Namen und behauptete, von der Polizei zu sein.
»Herr Eckermann möchte nicht gestört werden«, bekam ich beim dritten Hotel zu hören. Die Unterkunft hieß Bierstädter Hof und lag keine fünfhundert Meter vom Präsidium entfernt.
Männer vor dem Nervenzusammenbruch
Bevor ich eine Zeile tippte, aktivierte ich Google und gab die Namen Eckermann und Brasilien ein. Adriano Eckermann war österreichischer Abstammung, seine Familie war mit dem Dichter Stefan Zweig verwandt. Der war vor Hitler nach Brasilien geflohen und hatte sich dort umgebracht.
Eckermann hielt sogar Vorträge über seinen Urahn, er schien sich also für Literatur und Geschichte zu interessieren. Ich wusste nicht viel über Zweig, hatte vor Jahren mal die Schachnovelle gelesen, die Geschichte war mir aber als zäh in Erinnerung geblieben.
Google frischte mein Gedächtnis auf. Die Schachnovelle spielte auf einem Ozeandampfer, der nach Argentinien fuhr. Ein Millionär fordert gegen Honorar einen Schachweltmeister zu einer Partie heraus. Ein österreichischer Emigrant greift ein und erreicht so ein Remis für den Herausforderer. Am Ende stellt sich heraus, dass der Österreicher nur deshalb so gut Schach spielt, weil er in Gestapo-Haft hundertfünfzig Schachpartien im Kopf nachgespielt hat, um so seine intellektuelle Widerstandskraft zu erhalten.
Es galt, meine intellektuellen Kräfte wenigstens so weit zu mobilisieren, dass es zu einem Artikel reichte.
NOCH IMMER KEINE SPUR VON TONINHO – KRIPO ERHÄLT VERSTÄRKUNG AUS RIO
Adriano Eckermann, Sonderermittler der Polizei aus Rio de Janeiro, steigt pünktlich aus dem Flieger. Er begrüßt seinen Kollegen, den Bierstädter Hauptkommissar Anton Brinkhoff. Eckermann will seinen Landsmann Toninho Baracu finden, der vor vier Tagen entführt worden ist. Noch immer hat die Polizei keine Spur des brasilianischen Stürmers. Der oder die Entführer haben ihm einen Fuß amputiert (unsere Zeitung berichtete) und in einen roten Damenschuh gesteckt. Unklar ist, was diese makabre Zurschaustellung bedeutet. Recherchen unserer Zeitung ergaben, dass der Fußballer sich die Schuhe für eine Karnevalsfeier anfertigen ließ.
Mehr hatte ich nicht zu schreiben, konnte nicht schwelgen in fantasievollen Schilderungen, konnte keine Spannung aufbauen und keine Theorien entwickeln. Frustriert speicherte ich den Text ab. Peter Jansen konnte ihn jetzt lesen und absegnen. Ich fuhr meinen PC herunter und ging in sein Zimmer. Er telefonierte gerade, deutete aber auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Ich setzte mich.
Jansen war inzwischen über sechzig und hatte im Kollegenkreis angedeutet, das Tageblatt bald verlassen zu wollen. Mich auf jemand Neuen einzustellen, womöglich noch aus der Manager- oder Schickimicki-Ecke, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Ich lauschte Jansens Stimme, ohne zu hören, was er sagte. Wichtig war, wie er redete: souverän, freundlich und trotzdem deutlich. Kein Gesülze, keine Schmeicheleien, viel Humor bis hin zum Sarkasmus. Er hatte mir in schwierigen Zeiten immer den Rücken gestärkt und mich zurückgepfiffen, wenn ich es übertrieben hatte.
Ein oder zwei Jahre hatte er aber noch, und die sollten für uns beide spannend werden, dafür würde ich schon sorgen.
»Hallo, Grappa. Toninho ist zum Fußballer des Jahres gewählt worden«, sagte mein Chef, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. »Ist das nicht wunderbar?«
Irrte ich mich oder hatte er Tränen in den Augen?
»Was ist los?«, fragte ich verblüfft. »Heulst du?«
»Grappa-Baby«, seufzte er. »Du hat überhaupt kein Gefühl für einen erhabenen Moment. Überleg mal, Toninho ist tot – das ist eine wunderbare Geste, die zeigt, dass es im Weltfußball nicht nur um Millionen, sondern um tiefe Emotionen geht. Wo ist Harras?«
»Vermutlich hinter seinem Schreibtisch.«
»Dann hol ihn.«
Ich wagte keinen Widerspruch. Fußballer des Jahres – na und?
Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugemacht, als Harras über den Flur gelaufen kam. Er wirkte ebenfalls einigermaßen aufgelöst. »Toninho«, keuchte er, »ist Fußballer des Jahres. «
»Deshalb sollen Sie zum Chef kommen«, sagte ich.
»Bin schon
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