Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser
im Altertum, Mittelalter und in der Renaissance eine wichtige Rolle gespielt hatte. Während heutzutage Melancholiker als Depressive bezeichnet und zum Psychiater geschickt wurden, erkannte Aristoteles in der Melancholie die Ursache für geniale Leistungen auf allen Gebieten des Denkens und Handelns.
Von antiken Ärzten wurden vier Körpersäfte beschrieben, denen vier unterschiedliche Temperamente zugeordnet sind. Auf den griechischen Arzt Hippokrates ging die Diagnose zurück, dass ein Übermaß an ›schwarzer Galle‹ der Grund für ein schweres Gemüt beim Menschen sei. Die katholische Kirche schließlich diffamierte den Gemütszustand als eine der Todsünden, die Trägheit, acedia, denn der Melancholiker rückt als Zweifler am göttlichen Heilsplan schnell in den Status eines Sünders.
Der Stich war im Mai 1514 entstanden, dem Todesjahr von Dürers Mutter. Diese Zahl tauchte auch im magischen Quadrat auf.
Ich hätte noch viele Stunden lesen können, doch gegen Mitternacht war ich erschöpft. Es wurde Zeit, ins Bett zu gehen. Ich öffnete die Balkontür, um noch einmal frische Luft zu schnappen.
Die Luft war mild, ich setzte mich an den kleinen Tisch und streckte alle viere von mir. Auf dem Tisch lag der Lyrikband, in dem ich zuletzt geschmökert hatte. Ich schlug das Buch irgendwo auf und stieß auf ein Gedicht von Hölderlin, in dem er die Mitternacht beschrieb:
Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage ...
Ich gähnte und stand auf. Zufällig blickte ich dabei auf die Straße und bemerkte einen parkenden Wagen, den ich in dieser Gegend noch nie gesehen hatte. Es handelte sich um ein großes, schwarzes Nobelgefährt. Sofort wurde ich misstrauisch. War der Wagen leer oder saß dort jemand drin?
Ich verließ den Balkon und verschloss die Tür. Erst im Schlafzimmer bemerkte ich, dass ich einen Anruf verpasst hatte. Die Telefonnummer, die das Display anzeigte, war mir unbekannt.
Brand und Brause
Ich schreckte von der Matratze hoch – es war drei Uhr morgens. Ich hatte geträumt. Nur mühsam klaubte ich die Inhaltsfetzen zusammen. Natürlich war das Geistermädchen darin vorgekommen und auch der Rabe Hugin hatte seinen Auftritt gehabt. Warum ich wusste, dass es Hugin und nicht sein Kollege Munin gewesen war, war mir nicht klar, aber so war es. Ich saß vor einer Riesenportion Töttchen und die Musikbox plärrte Ich wollt ich wär ein Huhn.
Mir fiel die schwarze Nobelkarosse vom gestrigen Abend wieder ein und ich schaute nach draußen. Das Auto war weg.
Ich legte mich wieder hin, kuschelte mich in meine Decke und schlief noch einige Stunden.
Handyklingeln weckte mich. Nun war es sieben Uhr. Ich kontrollierte das Display. Dieselbe Nummer wie die des verpassten Anrufs.
»Hier spricht Salomon Wachlin«, sagte eine angenehme Männerstimme.
»Ah, ja, ja«, stotterte ich. »Schön, dass Sie sich melden. Mein Name ist Maria Grappa. Ich bin Journalistin und schreibe über den Mordfall Berghofen und deshalb habe ich Ihnen eine Mail geschickt. Sie kannten Frau von Berghofen doch gut und ich würde Sie gern persönlich sprechen.«
»Ich habe kaum Zeit«, wehrte sich Wachlin. »Ich muss meine Kurse vorbereiten. Außerdem hab ich schon mit Journalisten gesprochen und bei der Polizei war ich sowieso.«
»Die moderne Welt schreit nach Zauberern«, entgegnete ich seufzend. »Die Menschen haben keine Lust mehr, sich ihren Problemen zu stellen. Welche Kurse stehen denn heute an? Schwarze Magie, Chaoszauber oder Anrufung der Toten?«
Er lachte kehlig. »Sie haben sich ja schon gut informiert. Aber ich muss Sie enttäuschen. Heute habe ich nur einen Termin im Baumarkt. Ich brauche eine neue Brause für mein Badezimmer.«
»Warum treffen wir uns dann nicht am Nachmittag?«, fragte ich.
»Na gut. Um fünf am Rabenhügel. Übrigens ...« Wachlin stockte.
»Ja?«
»Ihr Kaffeeautomat ist defekt. Sie sollten ihn besser vom Stromnetz nehmen. Sonst passiert noch was.«
»Wie bitte?«
»Bis heute Nachmittag, Frau Grappa.«
Ich stürzte in die Küche. An der Maschine brannten alle roten Lichter. Ich zog den Stecker raus. Es roch nach angeschmortem Plastik.
Konnte der Mann wirklich hellsehen? Ich beschloss, nicht darüber nachzudenken.
Wachlin war vielleicht eine gute Quelle für Informationen, aber
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