Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser
die anderen nicht?
Ich verlangsamte meinen Schritt, bis ich neben Sabine Wunsch angelangt war. Sie wirkte bleich und mitgenommen.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte ich leise.
Sie antwortete nicht. Sie trug leichte Stoffschuhe, eine Jogginghose und ein verwaschenes T-Shirt. Lediglich der Mantel, ein schmal geschnittener Gehrock, schien zum Ausgehen geeignet.
»Hat Schott Sie herkommen lassen?«, fragte ich.
»Ich bin weggelaufen«, antwortete sie.
»Aus dem Krankenhaus? Oder von zu Hause?«
Sabine Wunsch schwieg. Wir waren an der Stelle angelangt, an der der Sarg versenkt werden sollte. Die Trauergemeinde gruppierte sich um die Grube im Boden. Die Holzkiste wurde nach unten gelassen und nach und nach traten die Menschen an den Rand des Loches und warfen mitgebrachte Blumen hinein. Auch die Nachwuchshexen und Zauberlehrlinge murmelten über dem Grab ihre Sprüche, als sie an der Reihe waren.
Nun trat Sabine Wunsch vor. Sie warf ein Stofftier – einen rosafarbenen Teddy – in das Loch. Die Stellen im Gesicht des Bären, an denen die Glasaugen hätten sitzen müssen, waren leer.
Jagd auf Fleisch
Wenig später gingen die Trauergäste wieder ihrer Wege. Jansen hatte keinen Leichenschmaus eingeplant.
»So, das wäre geschafft«, meinte mein Chef.
»War es schlimm für dich?«
»Was heißt schon schlimm? Mir wäre es lieber, der Mörder säße im Knast.«
»Ich habe für unerledigte Dinge auch nichts übrig«, stimmte ich zu.
Brinkhoff erwartete uns auf dem Parkplatz.
»Wir werden den Tresor heute Nachmittag öffnen«, teilte der Hauptkommissar mit. »Und ich möchte gern, dass Sie dabei sind, Herr Jansen.«
»Und ich?«
»Nicht ohne meine Grappa«, sagte Jansen prompt. »Falls Ihr Mann schwächelt, wirft Grappa aus ihren blauen Augen einen Blick auf die Stahldose und sie wird wegschmelzen.«
»Nach der Pleite mit der Geisterbeschwörung verlasse ich mich lieber auf die irdischen Künste unserer Handwerker«, entgegnete Brinkhoff trocken.
Wir verabredeten uns für drei Uhr im Präsidium.
Die Kriminaltechniker hatten den ausgebauten Stahlkasten auf einen schweren Tisch gestellt, der sich in der Werkstatt des Polizeipräsidiums befand. Hier stand viel beschlagnahmtes Material herum – von Autos mit Blutflecken auf den Sitzen über Statuen, in denen Drogen vermutet wurden, bis hin zu den Resten von verbrannten Möbeln.
Entlang der Wände war eine Art Labor aufgebaut, dort wurden die chemischen Analysen durchgeführt. Ein Kofferradio schickte eine scheppernde Melodie durch den großen Raum.
Die Experten legten sich einen Funkenschutz vors Gesicht und begannen mit dem Aufschweißen. Sie mussten immer wieder pausieren, damit sich die Wände des Safes nicht allzu sehr erhitzten.
»So, das war's.« Die Techniker hatten es geschafft.
Brinkhoff drehte sich zu Jansen um und fragte: »Sie sind der Eigentümer. Wollen Sie zuerst hineinsehen?«
Jansen wollte. Er nahm ein Bündel Papier aus dem Safe, einen Pappordner und mehrere CD-ROMs.
»Das war's schon«, meinte er.
Brinkhoff und ich traten näher. Ich war enttäuscht. Keine Geldbündel, kein Hexenzeugs, Waffen, Goldbarren oder Leichenteile.
Ich blätterte in dem Haufen Papier. Es handelte sich um ein Buchmanuskript mit dem Arbeitstitel Jagd auf Fleisch.
»Jagd auf Fleisch?«, fragte Jansen, der den Titel ebenfalls gelesen hatte. »Hört sich an wie ein Porno.«
»Nee«, sagte ich. »In diesem Text geht es nicht um Sex. Moment. Lilo hat ein Vorwort geschrieben: Dies ist eine wahre Geschichte, auch wenn sie kaum zu glauben, noch weniger zu fassen ist. Menschen jagen Menschen und töten sie, um sie ihrer Organe zu berauben und diese an Kliniken zu verkaufen. Die Personen in diesem Roman sind fiktiv, die Geschichte aber ist wahr.«
»Sie hat einen Schlüsselroman geschrieben«, stellte ich fest, als wir im Auto saßen. »Keinen Nackenbeißer, sondern einen echten Beißer.«
»Passt gar nicht zu ihr«, meinte Jansen und gab zu viel Gas, der Motor heulte auf. »Die Kupplung ist im Eimer«, erklärte mein Chef. »Aber ein neuer Wagen ist schon bestellt.«
»Du hast es gut«, seufzte ich. »Kannst jetzt aus dem Vollen schöpfen.«
»Ich weiß nicht«, entgegnete er. »Als ich die Autoprospekte durchblätterte und mir bewusst wurde, dass ich mir jeden teuren Schlitten kaufen kann, war die Freude gar nicht mehr so groß. Verstehst du das?«
»Klar. Wer alles haben kann und sich dafür nicht mehr anstrengen muss, dem bedeutet es nicht mehr so viel.«
»Ich
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