Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser
muss aufpassen, dass ich mich nicht verändere«, sagte Jansen ernst.
»Lass es langsam angehen«, riet ich.
Das Manuskript lag auf meinen Oberschenkeln. Ich brannte darauf, es zu lesen.
»Schreib noch ein paar Zeilen über die Trauerfeier und fahr anschließend nach Hause«, schlug Jansen vor. »Und dann mach dich an die Arbeit.«
Herr Hasewinkel kommt ins Spiel
Ich hatte den Rest des Freitags und das ganze Wochenende Zeit zum Sichten des Materials und zum Nachdenken.
Ich würde mich zu Hause vergraben, das Telefon abstellen und für niemanden zu sprechen sein. Doch zunächst deckte ich mich in einem Supermarkt mit allerlei Leckereien ein – nicht nur der Geist braucht Nahrung. Wein war noch genügend vorhanden, Brot fehlte.
Ein klassischer Grund, bei der Bäckerei vorbeizufahren. Außerdem wollte ich wissen, ob Rudi Carrell Anneliese Schmitz in Ruhe gelassen hatte.
Die Bäckerin bediente gerade einen Kunden, der Mann stand mit dem Rücken zu mir. Anneliese Schmitz bemerkte mich, lächelte erfreut, führte aber das Verkaufsgespräch weiter.
Der Mann erkundigte sich nach der genauen Zusammensetzung des Vierkornbrotes. Ich schloss die Augen – der Typ hatte eine erotische Stimme. Verlockung pur.
Er entschied sich für das Vollkorn-Ciabatta. Eigentlich eine Lästerung der Göttin des Korns, denn das italienische Brot hatte gefälligst aus feinem weißem Mehl zu bestehen. Als der Mann bezahlte, konnte ich seine Hand betrachten – schmale, schöne Finger mit gepflegten Nägeln.
Die Götterstimme bedankte sich für die gute Beratung und dann drehte sich der Kerl zu mir um – auf dem Gesicht die Andeutung eines spöttischen Lächelns: ein wenig provozierend, aber nicht aufdringlich. Die Augen: dunkelbraun und glänzend. Welch ein Traumtyp!
Ich lächelte zurück, mein Herz änderte den Rhythmus. Leicht verstört wandte ich mich der Bäckerin zu. »Tach auch, wie isses?«
Der Beau verließ den Laden.
»Muss«, meinte sie.
»Wow«, sagte ich und atmete durch. »Ich wusste gar nicht, dass es noch solche Sahneteilchen auf freier Wildbahn gibt.«
»Sahneteilchen?«
»Der Mann eben. Genau mein Fall.«
»In echt?«
»Diese Augen«, schwärmte ich. »Und er hat so schöne Hände. Kommt der öfter hierher?«
»Sicher, dreimal die Woche«, entgegnete die Bäckerin verblüfft. »Das ist doch der Hasewinkel aus dem Versicherungsladen drei Häuser weiter. Der macht jetzt auf Gesundheit, weil er zu fett ist und kurz vor dem Bypass steht.«
»Aber an den Hasewinkel erinnere ich mich flüchtig! Und der Mann eben war nicht der Hasewinkel.«
»Nun machen Se mal ganz langsam, Frau Grappa.« Frau Schmitz wirkte besorgt.
»Beschreiben Sie den Hasewinkel doch mal«, krächzte ich.
»Ist Ihnen nicht gut?«
»Bitte! Wie sieht der Mann aus?«
»Eins siebzig, hundert Kilo, wenig Haare und viele Schuppen. Ich hab immer Angst, dass der sich mal über meine Teilchen beugt. Dann rieselt der Schnee.«
»Aha. Und dieser Hasewinkel war eben hier und hat ein Vollkorn-Ciabatta gekauft?«
»Ja. Der Hasewinkel. Sach ich doch.«
»Ich drehe langsam durch«, stellte ich fest.
»Das liegt an der Zauberei. Ich sehe auch noch manchmal den Rudi«, meinte Frau Schmitz. »Er sitzt im Bistro und singt. Wann wird es endlich wieder Sommer ... «
»Und wie gehen Sie damit um?«
»Gar nicht«, antwortete sie ungerührt. »Irgendwann hört der Spuk schon wieder auf. Soll der doch singen! Solange es keiner hört außer mir, bleiben mir die Kunden auch nicht weg. Gefällt Ihnen der Hasewinkel wirklich?«
»Igitt.« Mir war schlecht.
»Sie haben den eben so lieb angelächelt, Frau Grappa«, meinte die Bäckerin. »Den haben Sie jetzt für ewige Zeiten an der Hacke.«
Ein bisschen Nackenbeißer muss sein
Ich verdrängte die okkulte Begegnung mit Herrn Hasewinkel und vertiefte mich in das Manuskript. Die Königin der Nackenbeißerromane hatte einen echten Thriller geschrieben, in dem es um Organhandel in großem Stil ging. Im Ordner befand sich die Materialsammlung: Zeitungsartikel und Ausdrucke aus dem Netz, die sie als Grundlage für den Roman genommen hatte.
Der Held der Geschichte war ein junger Arzt, der sich in den Fängen der Organhandelmafia befand. Er arbeitete in einer Klinik, in die Menschen verschleppt, dann getötet und ausgeweidet wurden. Der Mediziner musste die Organe entfernen, bevor sie auf die Reise zu ihrem Käufer gingen. Natürlich war der Arzt zunächst ahnungslos und glaubte an Unfallopfer, kam aber den kriminellen
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