Grappa 17 - Grappa und die Nackenbeisser
hörte eine Martinshorn-Flotte.
»Grappa, das dauert hier noch was. Die krabbeln da unten im Gebüsch rum mit Suchhunden und Lampen. Ich ruf dich später wieder an, ja?«
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich goss literweise Kaffee in mich hinein und wartete auf Nachricht vom Bluthund. Die erfolgte nach einer guten Stunde.
»Es ist doch dieser Schott«, berichtete Pöppelbaum. »Er ist tot – nicht die Frau.«
Wieder hatte ich mit einer Vermutung falsch gelegen. Doch Schott war kein Selbstmördertyp, der schickte bestimmt lieber andere ins Jenseits. Er musste an jemanden geraten sein, der noch weniger Skrupel hatte als er selbst.
Ich dachte an Lilos Manuskript Jagd auf Fleisch. Dort hatte ein Anwalt den illegalen Organhandel gemanagt. Die Parallelen waren nicht zu übersehen.
Zwei Stunden später sprach ich mit Peter Jansen.
»Drei Tote in zwei Wochen«, meinte er. »Das ist ziemlich viel.«
»Ich muss noch mal an Sabine Wunsch ran«, sagte ich. »Sie weiß mehr, als sie zugibt. Irgendwo muss doch das Pack-Ende sein.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie eine gute Informationsquelle ist«, wandte mein Chef ein.
»Der Teddy hatte keine Augen«, sinnierte ich.
»Teddy?«
»Die Wunsch hat ein Stofftier ins Grab geworden, dem die Augen fehlten. Das könnte doch ein Hinweis darauf sein, dass sie über den Organhandel Bescheid weiß.«
»Lilo hatte das arme Mädchen ganz verrückt gemacht mit dieser Totenbeschwörung. Ich glaube eher, dass das der Grund für die Teddynummer ist.«
»Ich hab ein anderes Gefühl.«
»Okay, dann steckt das Teddykartell dahinter.«
»Du nimmst mich nicht ernst«, stellte ich fest.
Die Königin der Blumen
Eine Stunde später war ich ausgehfertig. Jansen hatte Sonntagsdienst und wir würden uns später in der Redaktion treffen. Einen Artikel hatte ich nicht abzuliefern, bei Selbsttötungen hielt sich unsere Redaktion dezent zurück. Suizid galt als Privatsache, was ich richtig fand – denn was könnte privater sein, als sich freiwillig vom Leben in den Tod zu befördern?
Ich könnte das nicht, dachte ich, war mir aber im nächsten Moment nicht mehr sicher: Wenn der Grad der Verzweiflung sehr hoch ist, könnte die Hemmschwelle für Selbstmord entsprechend absinken.
Die Sonne strahlte wie die Tage zuvor. Seitdem sich die Erde von Jahr zu Jahr mehr erwärmte, gab es in unserer Region immer schönere Sommer. Doch der Glanz kam mir heute falsch vor und nicht gerade angemessen. Drei tote Menschen in zwei Wochen – Jansen hatte recht: Das waren entschieden zu viele.
Ich startete meinen Wagen und nahm die Straße, die mich aus der Stadt in den Süden und zum Haus von Mike Schott und Sabine Wunsch führte.
Ich sah sie schon von Weitem. Sie stand vor einem Gewächshaus und hatte Rosen in der Hand. Ihr Kleid war im Biedermeierstil geschnitten, von der Taille aufwärts geschnürt und aus einem weißen, leichten Stoff. Das sanft gelockte Haar trug sie offen. Sabine Wunsch war wie eine Braut gekleidet und nicht wie eine Frau, die gerade ihren Lebensgefährten verloren hatte und um ihn trauert.
Sie bemerkte mich nicht, als ich mich dem Haus näherte, sondern war völlig in die Zusammenstellung ihres Blumenstraußes vertieft.
»Hallo, Frau Wunsch«, sagte ich. »Mein herzlichstes Beileid. Es tut mir leid, was geschehen ist. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
»Sind die Rosen nicht wunderschön?«, lächelte sie. »Die ersten Blüten des Jahres.«
Ich trat durchs Gartentor. »Ja, Rosen sind die Königinnen der Blumen«, laberte ich. »Nur auf Gräber passen sie nicht so gut.«
»Wie finden Sie diese hier?« Meine Worte schienen nicht bis zu ihr zu dringen.
Ich nahm die gelbe, gefüllte Rose, die sie mir reichte, und fasste in einen Dorn. Es tat weh und ich versuchte, den Widerhaken herauszuziehen.
»Diese Sorte heißt Alchimist«, erklärte Wunsch. »Eine historische Strauchrose. Sie haben leider sehr üble Dornen. Sehen Sie.«
Sie präsentierte mir ihre Hände: Sie waren voller Kratzer, aus denen Blut tropfte. In Sabine Wunschs Augen war eine Mischung aus Stolz und Triumph zu erkennen.
Sie ist verrückt, dachte ich, oder kurz davor, es zu werden.
»Wollen Sie auch welche?«
»Sie sollten sich Ihre Hände verbinden.«
»Es tut nicht weh«, lächelte sie.
»Warum hat Ihr Mann sich umgebracht?«
»Es gibt ein Gedicht über gelbe Rosen. Von Heinrich Heine: Was bedeuten gelbe Rosen? / Liebe, die mit Ärger kämpft / Ärger, der die Liebe dämpft / Lieben und sich
Weitere Kostenlose Bücher