Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
Mandelhörnchen.
»Natürlich werden wir die Haare analysieren. Die Hinweise auf die Identität der beiden toten Frauen sind ja nicht gerade zahlreich. Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Keiner sagt etwas. Diese Roma schotten sich total ab. Ich bringe die Haare eben in die Kriminaltechnik. Kommst du eine Weile ohne mich klar?«
»Ich hab ja Uschi«, lächelte ich.
Er verließ den Raum. Ohne dass ich es wollte, erhob ich mich und trat zu Kleists Schreibtisch. Dort lag die Akte. Sie war zugeklappt, doch es steckte ein Lesezeichen in Form einer Karteikarte darin. Ich klappte den Pappdeckel auf.
Der Obduktionsbericht mit den dazugehörigen Fotos. Die Reste eines gekrümmten Körpers, leere Augenhöhlen, gebleckte Zähne in einem Loch, das einstmals ein Frauenmund war. Nahaufnahmen des Seemannsknotens und des Mageninhalts. Die Papierfetzen – fein säuberlich mit einer Pinzette auseinandergezogen.
Die Grausamkeit dessen, was ich sah, traf mich wie ein Schlag in den Bauch. Ich starrte die Fotos an.
Neben Uschi war ein Waschbecken und ich stolperte mit schwammigen Knien darauf zu. Doch ich musste nur würgen.
Das Telefon klingelte. Ich schreckte zusammen. Mein Herz pochte wie wild.
Die Akte lag immer noch aufgeschlagen da. Kleist würde merken, dass ich spioniert hatte. Also zurück zum Schreibtisch und alles wieder so dekorieren, wie es vorher war. Das Foto mit dem Mageninhalt war gleich mehrfach vorhanden. Ich zog eins aus der Hülle, faltete es und steckte es ein. Es war eine zwanghafte Handlung. Warum es dazu kam – darüber würde ich dringend nachdenken müssen, wenn ich hier raus war.
Endlich blieb das Telefon stumm. Ein paar Atemübungen beruhigten mich etwas. Als Kleist zurückkehrte, saß ich mit normalem Teint auf dem Besucherstuhl und hielt mich brav am Kaffeebecher fest.
»So, ich habe alles in die Wege geleitet«, verkündete er. »Am Montag liegt das Ergebnis vor.«
»Dein Telefon hat eben geklingelt«, teilte ich mit. »Es wollte gar nicht aufhören. Und ich wollte nicht drangehen.«
»Besser so«, grinste er. »Sonst hält man dich noch für meine Sekretärin.«
»Wo ist die überhaupt?«
»Seit einer Woche krank. Und ihre Vertreterin seit heute. Alle haben mich verlassen.«
Auf dem Papier, das der Rechtsmediziner im Magen der Toten gefunden hatte, waren noch Buchstaben zu erkennen. Das geklaute Foto war ziemlich scharf und mir schien es, als sei der Schnipsel von dickerer Beschaffenheit als eine normale Zeitungsseite.
Mich schauderte, als ich an das Leid der Frau dachte, die in dieser Wohnung so elend gestorben war.
rau – terhal. Was sollten diese Buchstaben bedeuten? Handelte es sich um Romasprache? Das Papier schimmerte gelblich, aber das musste nicht die originale Farbe sein. Ich hatte keinerlei Kenntnisse darüber, wie sich Papier verändert, wenn es erst mit Magensäure und dann mit den Flüssigkeiten getränkt wird, die während des Verwesungsprozesses entstehen.
Die Kriminaltechniker würden bestimmt die richtigen Schlüsse ziehen. Ich wünschte mir ein ruhiges Wochenende.
Wortspiele und ein wacher Traum
Die Wortteile verfolgten mich trotzdem bis in den Schlaf. rau – terhal . Noch vor dem Frühstück spielte ich am Rechner einige Möglichkeiten durch. Im Internet lud ich einen längeren Text – meine Wahl fiel auf die Serapionsbrüder von E. T. A. Hoffmann – und suchte darin nach den Buchstabenfolgen ›rau‹ und ›terhal‹.
Die Buchstabenkombination ›rau‹ kam häufig vor, zum Beispiel in den Wörtern Frau, brausen, heraus, Traum, grau.
Bei ›terhal‹ gab es auf den ersten Blick nur eine Möglichkeit: Unterhaltung.
Ich schrieb die gefundenen Wörter auf kleine Karteikarten, legte sie auf den Küchentisch und duschte. Das heiße Wasser prasselte auf mich nieder. Ich schloss die Augen und entspannte mich. Plötzlich hatte ich für den Bruchteil einer Sekunde ein Bild vor Augen. Ich bekam es nicht zu fassen, aber ich wusste, dass ich auf dem richtigen Weg war. Unterhaltung – dachte ich. RAU. Frau. Traum.
Das Bild erschien wieder. Eine gelbe Visitenkarte! Im Regal der Zima-Wohnung hatte doch diese gelbe Visitenkarte gelegen, zusammen mit der von Amiga- Investment. Was hatte darauf gestanden? Dann fiel es mir wieder ein: Wachtraum-Unterhaltungsmedien .
Ich gab diesen Firmennamen in eine Suchmaschine ein. Wachtraum-Unterhaltungsmedien hatte ihren Sitz in Bierstadt und vermarktete Kinderfilme. Hübsche Titel wie: Freche Mädchen, Amy und die Wildgänse,
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