Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
Es waren unglaublich viele Leute auf den Straßen. Ich drängelte mich zwischen den Menschen hindurch und da war auch schon Pöppelbaum.
»Was weißt du?«
»Nichts Offizielles«, antwortete der Bluthund. »Die mobile Pressestelle rückt erst noch an. Aber ich hab einen Zeugen aufgetrieben. Er hat alles mit angesehen. Muss großes Kino gewesen sein. Ich hab dem Typen einen Zehner gegeben, damit er auf dich wartet. Komm, er ist in der Kneipe da hinten.«
Den Zehner hatte der Zeuge bereits investiert. In Bier. Aber er war wohl gut im Training und noch in der Lage, einigermaßen sinnvolle Wortkombinationen zu bilden.
»Da fuhr das Auto. Also ich mein, der Polizeiwagen. Ich stand am Kiosk und guckte so rum. Dann rollte ein Ball auf die Straße. Die Bullenkarre bremste. Und dann passierte es.«
Der Mann nahm einen Zug von seiner Zigarette und spülte mit einem Schluck Bier nach.
»Das Auto tat anhalten. Und dann rollte ein Bulli auf die Straße, direkt vor den Polizeiwagen. Und zwei Typen kamen raus. Voll maskiert mit so schwatten Sturmhauben. Mit Em-Pis im Anschlach. Die Bullen zuckten nicht weiter und die Typen zerrten den Opa aus dem Auto. Das ging allet ganz zügig. Und schon waren se wieder wech.«
»Waren es zwei oder drei? Wer saß am Steuer?«
»Zwei kamen hinten aus dem Wagen. Der hatte ’ne Klappe«, lautete die Antwort.
»Einer muss hinter dem Lenkrad gesessen haben«, stellte ich fest. »Also drei Typen. Und die Polizisten haben sich einfach so überfallen lassen? Ohne Gegenwehr?«
»Die hatten die Em-Pis vor der Nase. Da wär ich auch stille geblieben.«
»Hat sich der alte Mann gewehrt?«, fragte ich.
»Nee, hatter nicht. Der lachte sogar. Als hätter dat allet erwartet.«
Also hat Milev seine Befreiung vielleicht sogar selbst in Auftrag gegeben, dachte ich.
»Was für einen Wagen fuhren die Entführer?«
»Hab ich doch gesacht, ’nen Bulli.«
Ich steckte dem Zeugen einen weiteren Zehner zu. »Schönen Abend noch«, wünschte ich.
Draußen fragte Pöppelbaum: »Was ist, wenn Milev zu Ivana will?«
»Dann wäre er schön blöd«, beruhigte ich ihn. »Und wenn doch, wird er sofort von den Bullen kassiert. Der will sich bestimmt nur absetzen.«
I shot the sheriff …
Das Lokalradio machte sich am Morgen über die Bierstädter Polizei lustig, weil sie sich den Romaboss hatte klauen lassen. Auch ich fand die Sache ziemlich peinlich für die Exekutive.
Zu der dramatischen Flucht des Romapaten Dimitar Milev hören Sie nach dem folgenden Musiktitel ein Live-Interview mit dem leitenden Hauptkommissar der Bierstädter Mordkommission Dr. Friedemann Kleist.
Ich stellte das Radio lauter und bereitete mir einen doppelten Espresso. Aus dem Radio dröhnte der Rock-Klassiker von Bob Marley : I shot the sheriff , but I didn’t shoot no deputy …
Moderator: Im Studio begrüße ich jetzt Dr. Friedemann Kleist, den leitenden Ermittlungsbeamten der Mordkommission. Wie konnte es passieren, dass ein Untersuchungsgefangener, gegen den wegen erheblicher Straftaten bis hin zum Mord ermittelt wird, fliehen konnte?
Kleist: Der Häftling befand sich auf dem Weg in ein Gefängniskrankenhaus. Ein Arzt hatte Herzrhythmusstörungen festgestellt. Der Transport war durch Polizeibeamte abgesichert. Der Wagen musste stoppen, weil ein Ball auf die Straße rollte. Der Fahrer konnte nicht ausschließen, dass dem Ball ein Kind folgen würde. Darum bremste er. Ein Transporter stellte sich dem Polizeifahrzeug in den Weg und zwei maskierte und bewaffnete Personen zerrten die Beamten auf die Straße. Ein dritter Beamter, der sich im vergitterten Teil des Polizeifahrzeugs befand, entschloss sich, von seiner Dienstwaffe keinen Gebrauch zu machen, weil der Überfall von mehreren Schaulustigen beobachtet wurde. Es hätte eine Schießerei geben können, bei der Unschuldige verletzt worden wären. Meine Kollegen haben sich völlig korrekt verhalten.
Moderator: Wer steckt hinter dem Überfall?
Kleist: Da der Beschuldigte Milev den Männern freiwillig gefolgt ist und die Polizeibeamten mit Gesten verspottet hat, gehen wir davon aus, dass Milev von seinen Anhängern befreit wurde. Er wollte vermutlich einer Überstellung nach Sofia entgehen. Der Auslieferungsantrag der bulgarischen Behörden wird zurzeit im Justizministerium bearbeitet.
Moderator: Was unternehmen Sie, um Herrn Milev wieder festzusetzen?
Kleist: Wir werden alles unternehmen, was möglich ist.
Moderator: Und das wäre?
Kleist: Einzelheiten dazu gebe ich aus
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