Grappa und die Toten vom See
Rosenbusch mit rosa Blüten würde bald alles verbergen.
Auch im Nachbarhäuschen rührte sich nichts, noch nicht mal hinter den Gardinen. Die Golombecks schienen ausgeflogen.
Ich schloss die Tür auf. Frau Schmitz hatte einige Wände entfernen lassen. So war ein großer Raum entstanden, durch den man direkt von der Haustür aus in den Garten schauen konnte. Die tragenden Pfeiler waren in Orange gestrichen, was dem Raum einen fröhlichen Ausdruck verlieh. Ein Blümchensofa, zwei gemütliche Ohrensessel, ein großer Esstisch mit Stühlen und ein alter Geschirrschrank aus hellem Kiefernholz. Der Teil des Hauses, in dem sich die Küche befand, war wohl erst später angebaut worden. Drei Stufen führten in den Kochbereich hinab. Von dort öffnete sich eine Tür direkt zum Garten. Ein Haus zum Wohlfühlen.
Wayne schaute sich prüfend in der Küche um.
»Kein schlechter Ort, die Cam zu installieren. Wir können sie direkt auf den Eingang nebenan richten. Allerdings in einem schrägen Winkel. Das hätte andererseits den Vorteil, dass noch ein Teil der Straße abgebildet wird. Was meinst du, Grappa?«
Ich prüfte die Perspektive. Ja, das sah gut aus.
Wayne positionierte die Webcam auf der Küchenfensterbank, richtete sie aus und machte sie scharf. Die Aufnahmen würden per Funk direkt an den Laptop übertragen werden, den wir im Wohnzimmer aufstellten.
Am Nachmittag gab es Neuigkeiten vom BKA. Der zuständige Pressekollege überließ den Medien ein Foto des toten Radfahrers. Zugleich wandte sich die Polizei auch mit Flugblätter an die Bevölkerung. Endlich wurde die Öffentlichkeit offensiv in die Aufklärung der Mordfälle einbezogen.
Wer kennt diesen Mann? – so die einfache Frage der Ermittler.
Ich betrachtete das Bild. Man hatte es bearbeitet und die Spuren der Hinrichtung beseitigt.
Der Unbekannte war überraschend jung. Er trug das Haar sehr kurz, fast rasiert. Ein Oberlippenbart gab dem Gesicht einen Mittelpunkt. Die Wangen waren fleischig, das Kinn fliehend und der Haaransatz niedrig. Die Beschreibung outete ihn als stämmig, nur 1,67 m groß und mit einem rechtsradikalen Tattoo verziert, von dem es ein Detailbild gab: Blood and Honour prangte in altdeutscher Schrift auf dem Oberkörper des Mörders.
Der Tote galt jetzt offiziell als Täter und nicht mehr als Zufallsopfer.
Ich war sauer. Warum hatte Kleist mir nicht erzählt, dass der Typ eine eindeutige Nazitätowierung hatte? Das wäre ein weiterer wichtiger Beleg dafür gewesen, wo der Mörder der jüdischen Familie Mahler zu finden war.
Schnack teilte mir vierzig Zeilen plus Foto zu. Nachdem ich den Artikel geschrieben hatte, rief ich Kleist an, um ihn wegen des Tattoos zusammenzufalten. Aber er nahm mir sofort den Wind aus den Segeln: »Denk dir, wir wissen jetzt, wer der Radfahrer war.«
»Das ging aber schnell.«
»Jemand hat ihn auf dem veröffentlichten Bild erkannt. Seine Freundin. Sie ist gerade hier.«
»Und wie heißt der Typ?«
»Daniel. Daniel Schatto.«
»Schatto? Den Namen habe ich schon mal gehört. Der hat doch diese schwangere Freundin. Wie heißt sie noch …«
»Chantal. Chantal Meinau. Sie ist gerade hier, mit Begleitung.«
»Ha, lass mich raten. Luisa Licht.«
»Kannst du hellsehen?«
»Leider nicht immer.«
Razzia gegen die Autonomen Nationalisten
Zwei Stunden später veranstaltete die Polizei eine Razzia in Dorstfeld. Das Bundeskriminalamt hatte die Medien kurzfristig informiert und behinderte die zahlreichen Journalisten nicht. Es gab sogar eine mobile Pressestelle, die eine Verlautbarung verteilte, in der Daniel Schatto als mutmaßlicher Mörder der Mahlers und Cohns bezeichnet wurde. Schatto war Mitglied der Autonomen Nationalisten – so war zu lesen.
»Die harten Jungs kommen«, sagte Pöppelbaum und deutete auf einen schwarzen Pulk. »Und da ist ja auch dein Spezialkommissar.«
Friedemann Kleist gehörte zu den zahlreichen zivilen Beamten am Einsatzort. Er winkte mir zu, doch ich reagierte sparsam, denn Condi Maronetti stand neben ihm.
Die Spezialeinsatzkräfte trugen schwarze Overalls und ballistische Westen sowie Helme mit Funkgerät und Gehörschutz. Sie waren mit Maschinenpistolen ausgerüstet. Ihre Mienen waren durch den klappbaren Gesichtsschutz nicht zu erkennen. Sie umstellten das Haus, in dem das Nationale Zentrum seine Adresse hatte. Drei Männer bauten sich vor dem Eingang auf.
»Aufmachen, Polizei!«, dröhnte es durch ein Megafon.
Nichts rührte sich. Auch weitere Aufforderungen und Poltern
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