Grappa und die Toten vom See
berichteten unserer Zeitung von Straßenfesten der Nazis, von Sieg-Heil-Rufen in der Nacht und massiven Einschüchterungen. Da werden Scheiben eingeworfen, Autos mit Hakenkreuzen beschmiert und offene Drohungen ausgesprochen. Auf Laternenpfählen und Elektrokästen kleben Sticker. Sie markieren das Revier der Rechtsextremen, zeigen marschierende Springerstiefel mit dem Slogan:
Dorstfeld bleibt deutsch.
Ab und zu kratzen Schulklassen, Gewerkschafter und Demokraten diese Klebebilder ab – doch ein paar Tage später sind sie wieder da.
Die meisten Bewohner haben Angst, mit uns zu reden, denn sie möchten keinen braunen Besuch bekommen – wie Anneliese S. Die Inhaberin einer kleinen Bäckerei in der City ist eine Zugezogene – sie erwarb ein Zechenhaus mit Garten im Negerdorf, renovierte es und glaubte, ein ruhiges Örtchen für den Lebensabend gefunden zu haben. Doch Frau S. hatte nicht mit ihren Nachbarn gerechnet. Heinz und Gisela G. haben bestimmte Vorstellungen vom nachbarlichen Zusammenleben. Sie wollen allein bestimmen, was in ihrem Umfeld geschieht, und wenn sich jemand nicht danach richtet, wird er gemobbt. Zudem gehört das unauffällig wirkende Ehepaar zu den Gründern der
Sozialen Alternative Dorstfeld
– einem Nazi-Bürgerverein.
Frau S.’ Haus wurde mit beleidigenden und rechten Parolen beschmiert, nachdem sie sich bei der Bürgerinitiative
Gesicht zeigen gegen Rechts
eingeschrieben hatte. Ihr Grundstück wurde mit Fäkalien und Müll beworfen, tote Kleintiere landeten in ihrem Briefkasten.
»Dorstfeld ist ein Hotspot des Rechtsextremismus«, so Luisa Licht, die Leiterin der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt. »Zehn Jahre lang ist der Rechtsextremismus hier verharmlost und ignoriert worden. Diese Zeit haben die Nazis genutzt, sich zu vernetzen. Sie haben enge Beziehungen zur NPD und pflegen Kontakte zu Rassisten in ganz Europa.«
»Gar nicht mal so übel«, kommentierte Wayne. »Aber das Beste sind natürlich die Fotos.«
»Stimmt. Meine Frau Schmitz sieht so kämpferisch aus! Und Luisa Licht ist eine sehr hübsche Person.«
»Finde ich auch.« Ein leichtes Rot legte sich auf die Wangen des Bluthundes.
»Fragt sich nur, ob sie den Neonazis so richtig Angst einjagen kann. Die strecken einmal kurz die Faust aus und sie fällt um.«
»Sie soll den Burschen ja keine Angst einjagen, sondern das Vertrauen ihrer Opfer gewinnen und anderen beim Ausstieg aus der Szene helfen.«
»Okay. Aber ob die Nazis das so gut finden?«
Je vernünftiger die Polizei arbeitet, desto bequemer ist der Job der Reporterin, denn sie muss nicht selbst ermitteln.
Sechs Stunden später erreichte mich erneut eine Pressemitteilung. Die Fakten: Das Haus der Mahlers war komplett durchsucht worden. Alle Schränke waren geöffnet, die Schubladen herausgerissen, sogar das Parkett hatten die Einbrecher aufgestemmt. Sämtliche Bücher lagen aufgeschlagen auf dem Boden, die Kleider waren überall verstreut und die Polstermöbel und Matratzen aufgeschnitten worden. Nach ersten Ermittlungen fehlte jedoch nichts. Auch im Haus hatten sich Schmierereien gefunden. Die Polizei bezeichnete sie als verbotene nazistische Zeichen antisemitischen Inhalts.
Nachdem ich den entsprechenden Artikel verfasst hatte, verspürte ich das dringende Bedürfnis, mich zu belohnen. In der Kantine traf ich auf Wayne und Harras. Die beiden saßen schon gemütlich bei Kaffee und Kuchen. Die Kantinenwirtin hatte gerade eine Selbstbackphase und zauberte die schönsten Leckereien. Leider positionierte sie die dampfenden Kuchen in der sogenannten Spuckzone – also an der Stelle, an der die Kunden Geld und Scheine hinüberreichten und ein mehr oder weniger feuchtes Kurzgespräch mit der Küchenchefin führten.
Trotzdem konnte ich nicht widerstehen und kaufte ein Stück Apfeltorte. Mein Bakterienabwehrsystem würde mit der neuen Aufgabe wachsen.
»Der Einbruch kommt mir komisch vor«, kaute Wayne, als ich saß. »Da sucht jemand etwas, nimmt das ganze Haus auseinander und sprüht in aller Ruhe die Wände voll. Das kostet doch viel zu viel Zeit!«
»Vielleicht waren es zwei«, erklärte ich. »Der eine sucht, der andere sprüht.«
»Warum blättert man ein Buch durch?«, spielte Simon Harras mit. »Weil man etwas Kleines sucht. Etwas Großes würde ja nicht in ein Buch passen.«
»Vielleicht ein Papier, ein Dokument oder einen Brief«, nickte ich. »Etwas, was David Cohn einen Hinweis darauf gegeben hat, was aus den Diamanten geworden ist, die der
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