Grappa und die Toten vom See
gut oder ist das gut?«
Ihre Lippen deuteten ein Lächeln an. »Der Sausack.« Sie drückte kurz meine Hand.
»Sie braucht wieder Ruhe«, meldete sich ein Pfleger zu Wort. »Prima, dass sie Sie erkannt hat. Das ist ein gutes Zeichen.«
»Kann ich irgendwas für sie tun?«
»Kommen Sie sie ab und zu besuchen. Auch wenn sie noch schwach ist. Es zeigt ihr, dass jemand da ist. Verwandte hat sie wohl keine, oder?«
»Jedenfalls keine, von denen ich weiß«, antwortete ich.
»Und was ist mit diesem Mädchen dort?« Er deutete mit dem Finger aus dem Fenster. Ich trat neben ihn und entdeckte Donka. Sie saß auf einer Bank in der Nähe des Krankenhauseingangs – umgeben von rauchenden Patienten in Bademänteln – und starrte vor sich hin.
»Das ist Frau Schmitz’ Lehrmädchen. Sie heißt Donka.«
»Wir haben sie nicht vorgelassen«, erklärte der Pfleger. »Sie war schon ein paarmal hier.«
»Warum lassen Sie sie nicht zu ihr?«
»Bisher durfte überhaupt niemand zu ihr. Sie sind die Erste.«
»Ich werde mit Donka reden und sie das nächste Mal einfach mitbringen. Wäre das okay?«
»Natürlich. Sie sieht so … ausländisch aus und wir wissen ja, dass die Patientin einem Überfall zum Opfer gefallen ist. Also waren wir vorsichtig.«
Ich sparte mir den Vortrag über unnötige Vorurteile. Der Typ hatte nur das Richtige tun wollen. Und wenn ich ehrlich war – ich hielt meine Handtasche auch fester, wenn mir eine Gruppe Jugendlicher mit sichtbarem Migrationshintergrund begegnete. Ich warf noch einen Blick auf Frau Schmitz. Ihr Atem ging ruhig und tief. Sie war auf dem Weg der Genesung.
Vor dem Krankenhaus saß Donka noch auf der Bank. Ich ließ mich neben sie fallen.
»Frau Schmitz geht es besser«, berichtete ich. »Sie ist aufgewacht und wird wieder ganz gesund. Bald kannst du sie sehen.«
Die junge Frau strahlte.
Kinder aus Afrika und Charity ohne Ende
Die tote Irene Motte ging mir nicht aus dem Kopf. Ich druckte mir im Büro alle Dokumente über sie aus, die das Internet hergab, um die Informationen noch einmal genauer durchzugehen. Ich suchte die Kontaktdaten des Rotary-Clubs heraus und fand eine Telefonnummer der aktuellen Vorsitzenden namens Valeria Ramsmeyer. Jetzt fehlte mir nur noch eine glaubhafte und möglichst emotionale Geschichte, die die Frau zum Plaudern brachte. Ich googelte Frau Ramsmeyer und erfuhr, dass sie auf bayerischen Turnieren als Dressurreiterin einige Schleifen geholt hatte, der Burn-out-Selbsthilfegruppe vorstand und Mutter von drei adoptierten Kindern aus Afrika war. Die letzte Neuanschaffung stammte aus Mali und hieß Bobo. Ich merkte mir den Namen des Kindes.
Ich holte mir Kaffee, um meinen Erfindergeist zu stimulieren. Nach drei Tassen der braunen Brühe und einiger Konzentration mutierte ich zu der Geschäftsführerin einer großen Gala namens Kinderlächeln, die einmal im Jahr veranstaltet wurde. Dabei wurden die Prominenten dieser Welt dazu geladen, gegen den Hunger der Kinder in der Welt anzuessen und anzutrinken. Einmal hatte ich an dieser Gala teilgenommen, um darüber zu berichten. Ich hatte rechts neben der Organisatorin gesessen, der geschiedenen Frau eines Aga Khan, die als Charity-Lady verzweifelt versuchte, ihrer Lebenszeit einen gewissen Sinn zu geben. Links von mir hatte die Silikone (hier fehlt das t nicht!) der Nation gethront. Sie hatte mit Schlauchbootlippen von St. Moritz und St. Tropez geplappert und später den Erlös der Gala und die Preisträger vor den internationalen Kameras bekannt gegeben.
Das Glück war mit mir. Frau Ramsmeyer war bei den Rotariern zu erreichen. Ich stellte mich wie geplant vor. »Wegen Ihres sozialen Engagements möchten wir Sie gern als Preisträgerin nominieren. Ihre Freundin Irene Motte hat Sie uns vor einigen Monaten ans Herz gelegt.«
»Irene? Die Gute!«, seufzte Ramsmeyer. »Es wäre schön, wenn sie das noch erleben könnte.«
»Ich verstehe nicht …«, stammelte ich.
»Irene weilt nicht mehr unter uns.« Ramsmeyer unterdrückte ein Schluchzen. »Sie ist vor einem halben Jahr von uns gegangen.«
»Was ist denn geschehen?«
Ramsmeyer schluchzte jetzt doch. »Sie hat sich das Leben genommen.«
»Um Himmels willen! Warum das denn?«
Die Freundin behauptete, nicht indiskret sein zu wollen, entschied sich aber nach fünfzehn Sekunden für das Gegenteil. In Wahrheit wisse sie es zwar nicht. Irene habe aber eine Auslandsreise gemacht und sei völlig verändert zurückgekehrt. Sie sei ganz still geworden, habe mit
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