Grass, Guenter
Berliner
Polizei gekündigt, wolle nicht mehr Polizist sein, wegen Kurras.
Da
ist er wieder, der Todesschütze, der mich von Grimms Wörterbuch und den
K-hörigen Wörtern weggeführt hat. Der ehemalige Polizist, dessen Name mir
entfallen ist, konnte »es auf Dauer nicht verantworten«, mit dem Mörder des Studenten
Benno Ohnesorg gemeinsam Dienst zu leisten.
»War
ne Gewissensfrage«, sagte er. Ekelhaft sei es gewesen, wie seine Kollegen vor
Gericht immer wieder einstimmig Kurras mit falschen Aussagen gedeckt hätten.
»Wir sind doch Kameraden«, wäre ihm hinter vorgehaltener Hand beteuert worden.
»Die Reihen dicht halten« hätte die Parole geheißen. Aber solche Kameraderie
habe ihm gestunken. Überhaupt sei ihm die Berliner Polizei nach dem 2. Juni wie
ein Sumpf vorgekommen. Höhere Dienstränge hätten mit ihrer Praxis als
Partisanenbekämpfer in der Ukraine, auf dem Balkan geprahlt. »Und überall
Kumpanei und Klüngelwirtschaft!«
Noch
im Rückblick erstaunt mich das Verhalten des Polizisten, der seine Waffe
ablegt, die Dienstmarke auf den Tisch knallt, Karriere, Beamtenstatus sowie
zukünftige Pensionszahlungen aufgibt und fortan Zivil trägt. Er will mir nicht
aus dem Sinn, kommt sogar zu überdeutlichen Konturen: als kürzlich - während
ich an meinem Schreibpult zeitabwärts unterwegs und dabei den Grimmbrüdern während
ihrer Wörtersuche hinterdrein war - in allen Medien bekannt gemacht, ja,
triumphierend herausposaunt wurde, Karl-Heinz Kurras sei als Westberliner
Kriminalrat und ausgewiesener Scharfschütze zugleich bezahlter Agent des
Staatssicherheitsdienstes der DDR gewesen, worauf in ersten Kommentaren die
Lust erkennbar wurde, nunmehr die Ermordung des Studenten Ohnesorg dem
inzwischen untergegangenen Staat und dessen Machthabern anzulasten, tückischer
noch, den Studentenprotest als kommunistisch ferngesteuert zu denunzieren,
stand mir sogleich in nicht abreißender Bilderfolge die Knüppelgewalt der
Westberliner Polizei vor Augen; deren Schlagkraft war zeitweilig der
Ostberliner gleichwertig.
Eigentlich
ging es nur um einen der in der geteilten Stadt üblichen Staatsbesuche. Als
normal sollte er gelten und normal verlaufen. Doch der hohe Besuch kam in
Gestalt eines Diktators, der sich als Schah von Persien mit Hilfe seiner
Geheimpolizei und gestützt von den USA an der Macht hielt. Die Stadtregierung
jedoch und der herbeigeeilte Bundespräsident Lübke empfingen ihn wie einen
Freund und Verbündeten im Kampf gegen den Kommunismus. Besuch im Rathaus,
Besuch der Oper, roter Teppich, alles nach Protokoll. Dagegen protestierten
tausend und mehr Studenten. Unter ihnen, mehr am Rand und als Zuschauer, der
Student Benno Ohnesorg.
Zuerst
waren es sogenannte »Jubelperser«, bezahlte Schläger, die mit Dachlatten
zuschlugen, dann war es die Polizei, die nach dem Kommando »Knüppel frei!«
ihres Vorgesetzten, der zur »Füchsejagd« aufrief, die Protestierenden vom
Vorplatz der Oper in Nebenstraßen trieb, so auch Benno Ohnesorg, der, wie alle
anderen, flüchtete.
Ihn
aber trafen nicht nur Knüppel. Kurras zog seine Dienstpistole. Der Kriminalrat
Kurras schoß gezielt auf kurze Distanz, wurde aber in mehreren Prozessen
freigesprochen, wie auch niemand die Springerpresse belangte, die mit schlagzeilenfetten
Parolen die Polizisten und also Kurras scharfgemacht hatte; mit ihm krümmten
mehrere Schreibtischtäter den Finger am Abzug. Ab dann begann Mordlust
gesellschaftsfähig zu werden.
Darüber
verging Zeit. Der westdeutsche Verfassungsschutz löschte die Akte Kurras. Nur
im Osten überdauerte sie im Nachlaß des Staatssicherheitsdienstes, gekennzeichnet
mit einem Decknamen.
Während
ich noch meinem standhaften Polizisten nachsinne, der den Dienst quittierte,
und dabei in Nebengedanken bemüht bin, aus dem Westberliner Sumpf des Jahres
siebenundsechzig in den Tiergarten gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu
finden, wünsche ich mir einen der Grimmbrüder dorthin: weil Jacob sich sperrt,
soll Wilhelm neben mir auf der Bank gegenüber der Rousseauinsel sitzen. Doch
so viele Lockwörter ich probiere, wobei mir der Buchstabe M - nein, nicht mit
Mord und Mörder, vielmehr mit Mär, Märlein, Märchen - behilflich sein soll,
unablässig holt mich die Gegenwart ein.
Ich
versuche den Schmutz wegzuwischen, habe Übung darin. Mich schmerzt und ekelt
mein Land, dessen Sprache ich anhänglich liebe. Es kommt mir abhanden, wird
fremd. Ich suche, um mich abzulenken, nach Fundsachen aus anderer
Weitere Kostenlose Bücher