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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Zeit,
blättere in der kurzgefaßten Chronik des Hirzel-Verlags, gehe eine ins Abseits
geratene Wegstrecke deutscher Geschichte ab, höre, wie draußen - das hilft -
unaufhörlich, als wolle er wenauchimmer unsterblich machen, der Kuckuck ruft,
auf den ich vorhin noch, um zu den Grimms zurückzufinden, gestoßen bin; doch
fand ich ihn nicht unter K, sondern im Umfeld des Buchstaben G; und dort war
der Gauch zu finden, wie vormals der Kuckuck hieß.
    Er
will nicht enden. Oder kann nicht. Manchmal stolpert er, stottert, verschluckt
sich, ist wieder da, will, daß ich zähle, wie oft er seinen Namen betont und
als anhaltendes Ereignis feiert, denn vom Ruf dieses unter anderen Vögeln
berüchtigten Nutznießers fremder Nester hat sich namengebend der doppelte
Kehllaut abgeleitet. Ich lerne, daß Gauch einst für Narr stand. Und daß des
Vogels gezählter wie ungezählter Ruf, sobald der »gauch gauchzet« oder »guckte«
- ich zitiere: »er hat gekugtzet hundert jar« -, schon früh mit einem Spruch
Reinmars von Zweter, »swer einen gukgouch haben wil« den Kuckuck vorahnen ließ,
wie er in späterer Zeit, nein, immer noch, jetzt, ruft und ruft, als habe ihn
die nach ihm benannte Uhr als »schnelle Kathrein« erwischt. Er ist sich selbst
genug, weiß wie er heißt.
    Nein,
ich bleibe beim Gauch, der in Mundarten, so im Schweizerdeutschen, als
Schimpfwort überlebte. Üble Tätigkeiten werden ihm nachgesagt. Er nimmt
verschiedene Gestalt an. In Fischarts Gargantua ist der Gauch des Mannes
schlaffer wie standfester Pimmel, den die liebende Frau warm zudecken möge,
damit ihm »die gaucheyer nicht erfrieren«. Überdies nennt das Grimmsche
Wörterbuch einen Gauchkäfer, der giftgrün und mit langen Beinen stinke »wie ne
gauch«. Und jener »gauchberk«, von dem Hans Sachs als von einem Narrenberg
spricht, weist auf einen wirklichen Gauchberg hin, den Wilhelm Grimm während
früher Wanderungen in der Pfalz gesehen, womöglich bestiegen, jedenfalls
später, wie gewohnt, mit gelehrten Anmerkungen und Hinweis auf Sebastian Brants
»Narrenschiff« kommentiert hat.
     
    Er
bestätigt mir diesen Fund, gleich nachdem es gelungen ist, ihn auf die
Tiergartenbank zu locken. Auch hier ist Frühling. Auch hier ruft wie närrisch
der Kuckuck, als wolle er Wilhelms Unsterblichkeit bestätigen. Eigentlich will
ich ihn geradewegs auf den Buchstaben M bringen, den er gern bearbeitet hätte,
wenn ihm, wie zu Lebzeiten oft beteuert, genügend Zeit geblieben wäre. Dennoch
versage ich mir, mich über Mensch, menschlich, die Mißachtung der
Menschenrechte auszubreiten, verzichte auf Mann, mannhaft, den Männlichkeitswahn
und komme sogleich auf die von ihm gesammelten Märchen. Ich erzähle, wie mir
als Kind schon die Mär vom Däumling nahgegangen sei, so daß ich mir später eine
Figur habe ausdenken müssen, die auf eigenen Wunsch kleinwüchsig blieb und Oskar
heißt...
    Doch
sobald mir meine Nacherzählung zu breit gerät und ständig, als könnten sie für
mich zeugen, weitere Romanfiguren aufruft, droht Wilhelm zu schwinden. Also
komme ich zur Sache, das heißt auf den Band zwölf des Wörterbuchs und bemängle,
daß dessen Bearbeiter Moritz Heyne das Stichwort Märchen zu knapp behandelt
habe. Dort seien die Grimmbrüder nur als Fußnote zu einem Freiligrath-Zitat,
»doch halt, noch eins! her euer mährchenbuch!«, erwähnt. Solche Schmälerung
nachweisbarer Verdienste werde insbesondere Wilhelm nicht gerecht, der mit dem
»Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen« nicht nur die
literarische Gattung der Mär in einem Titel betont habe, sondern behilflich
geworden sei, als mich der Krieg die Furcht lehrte und was mir dabei...
    Aber
Wilhelm will weder hören, wie ich - was im Zwiebelbuch steht - hinter die
russische Frontlinie geriet und dennoch überlebte, noch auf den Buchstaben M
eingehen, sondern kommt nochmals auf den von ihm entdeckten Gauchberg zu
sprechen. Er weist mit der Klitterung »gaucheyerbrütler« auf das
Gewohnheitsrecht des Kuckucks hin, seine Brut Ei nach Ei in fremde Nester zu
schmuggeln.
    Doch
während er noch spricht und mit einem Sturzbach Zitate den Gauch einen Kuckuck
sein läßt, verblaßt er von den Rändern her, verkrümelt sich sozusagen. Gerade
noch höre ich: »weshalb gauchen vormals für täuschen stand, so daß sich
Paracelsus sicher sein konnte: >also geucht ein narr den anderen.<«
    Welch
ein Frühlingsspektakel! Knallende Knospen. Trugbilder verlocken, schwinden,
gaukeln neuerdings. Immer

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