Grass, Guenter
Kokein als um eine Feuersbrunst. Kaum
Sachschaden. Nur Brandspuren blieben zur Erinnerung.
Zum
zweiten Mal kandidierte Willy Brandt für das Amt des Bundeskanzlers. Kurz vorm
Wahltermin kam ich aus Cloppenburg, dem Ort meiner letzten Veranstaltung
zurück, ziemlich bekleckert, weil mich geworfene Eier, die im schwärzesten
Wahlkreis der Republik billig zu haben waren, zum Schweigen bringen wollten,
was nicht gelang: Mich kriegt ihr nicht klein!
Es
war die letzte aller Reden, die ich zwischen Passau und Flensburg zum
Schlußpunkt gebracht hatte. In Cloppenburg und Umgebung, inmitten einer
Region, in der sogar die schwarzweißgefleckten Kühe katholischer Konfession
waren, gab es viele Geflügelfarmen mit Käfighaltung, entsprechend groß ergab
sich der Überschuß an Eiern von genormtem Kaliber.
Zu
Hause angekommen, fiel ich im Friedenauer Klinkerhaus in schachttiefen Schlaf
und mag im Traum noch in volle, rauchverhangene Säle hinein geredet, geredet,
Zwischenrufe schlagfertig beantwortet, um jede noch unschlüssige Stimme
gekämpft, das letzte Wort gehabt haben, als mich Geschrei weckte: »Es brennt!«
Nur
die Haustür zum hölzernen Windfang. Oder hintergründiger gesagt: äußerlich
wahrnehmbar stand nur die Haustür in Flammen. Gute Freunde, Ulli und Herta
Härter, die auf Besuch bei uns Quartier genommen und als erste den bis ins
Dachgeschoß steigenden Qualm bemerkt hatten, löschten den Brand in kurzer Zeit.
Indessen
wurden die Kinder wach, stellten Fragen, die kaum oder nur vage beantwortet
wurden. Eine zerscherbte Flasche und verschmurgelte Lappen wiesen auf Brandstiftung
hin. Das sagte der Brandmeister der Feuerwehr, die, von Nachbarn herbeigerufen,
schneller kam als die Polizei. Zuvor schon hatte es Drohbriefe, anonyme Anrufe
gegeben, das üblich mordlustige Vokabular. Dennoch zögerten die Beamten, hinter
dem Anschlag Rechtsradikale zu vermuten.
In
Zeitungskommentaren stand tagsdrauf, mein in Wahlkampfreden ausgesprochener
Verzicht auf die ehemals deutschen Ostprovinzen, mithin die Anerkennung der
Oder-Neiße-Grenze habe einen »Dummejungenstreich« provoziert. Wer Wind säe,
werde Sturm ernten und weitere Sprüche. Im übrigen, hieß es, sei die Sache
harmlos verlaufen, was stimmte.
Nichts
weiteres geschah, außer daß von Ende September an zwei Polizisten mit
Dienstwaffe ab Einbruch der Dunkelheit im Spielzimmer unserer Kinder saßen und
bis lange nach Mitternacht den Vorgarten in Erwartung einer eventuellen
Wiederholungstat beobachteten. Wir plauderten mit ihnen, sorgten für Milchkaffee
und Käsebrote, die Kinder gewöhnten sich an den polizeilich verordneten
Besuch. Bis übers Jahresende hinweg kamen, gingen die jungen Männer und
meldeten ihrer Dienststelle: Keine besonderen Vorkommnisse.
Auch
sonst ereignete sich kaum was, außer daß mich Zahnschmerzen plagten, die nach
zu langem Warten auf nachlassende Pein zur langwierigen Behandlung meines
Progenie genannten Unterbisses führten. Was Folgen hatte, denn später wurden
die ausgedehnten Sitzungen in einem beweglichen Dentistenstuhl für die Rahmenhandlung
des Romans »örtlich betäubt« tauglich, samt behandelndem Arzt. Auf mehrspurigem
Erzählgleis lief das Jahr siebenundsechzig mit seinem unablässig beredeten
Einerseitsandererseits ab: dafür oder dagegen, erste Schüler- und
Studentenproteste, der ferne Krieg in Vietnam, Napalm und dessen Wirkung, die
stoische Ruhe des Zahnarztes, die Kümmernisse des handlungsunfähigen
Studienrates, das Schülerpaar in Liebe und Dauerstreit, ein Dackel, der vorm
Hotel Kempinski verbrannt werden sollte: aus Protest gegen alle Gewalt.
Danach
verging, wie anderswo auch, wiederum Zeit, in der ich von berufswegen gegen ihr
Vergehen anschrieb, wobei mir die dinglichen und wörtlichen Ablagerungen
mehrerer Zeitläufte durcheinandergerieten, so daß ein eigens erfundener Zeitbegriff,
»die Vergegenkunft«, behilflich werden mußte. Langsam, zeitverschleppend und
durch zu oft notwendigen Ortswechsel gehemmt, kam mein Roman »Der Butt« zu
Papier.
Und
als ich gegen Ende der siebziger Jahre aus des Butts jeweiliger Zeitweil einige
Episoden, weiß nicht in welcher mittelgroßen Stadt, vor Publikum vorlas, sprach
mich nach der Lesung ein Mann an, der sich als einer der Polizisten bekannt
machte, die ab September fünfundsechzig den Vorgarten unseres Hauses in der
Niedstraße überwacht hatten. In Zivil stand er neben dem Signiertisch und
sagte auf meine Frage, ob er noch im Dienst sei, er habe bei der
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