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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Sicherheit des bürgerlichen daseins.« In
der vom Bruder übernommenen Kleinschrift, die dem Wörterbuch als drakonische
Maßnahme diktiert worden war, reiht er Zitate, in denen der Dichterfürst das
Dasein feiert, so wenn »ererbte reichthümer eine vollkommene leichtigkeit des
daseins verschafft haben«. Oder wenn es heißt: »die innere behaglichkeit seines
daseins schien sich über alle zuhörer auszubreiten.«
    Noch
tobt kein »Kampf ums Dasein«, wie ihn spätere Mißdeutungen der Darwinschen
Lehre von der Entstehung der Arten entfesseln werden. Bald wird, bei Verzicht
auf die Vorsilbe da, das Sein dominieren. Seitdem gibt es die Seienden
einerseits und die Seinsvergessenen andererseits.
    Davon
ahnt Wilhelm nichts. Doch stellt er fest, bei Schiller finde sich das Dasein
»minder häufig«. Nur auf die »langweilige dasselbigkeit des daseins« weist er
hin, das ihm allenfalls als abstrakter Begriff dient: »jede Vollkommenheit
muste dasein erlangen in der vollständigen weit.«
    Weil
sich aber schon anfangs der jüngere Grimm, kaum hatte er begonnen, dem
Buchstaben D ein spaltenlanges Vorwort zu widmen, genötigt sah, den Wankelmut
zwischen D und T zu belegen, dann zwangsläufig auf die Silbe da kam, ist es
abermals da, das da, durchsetzt von allerschönsten Zitaten, so wiederum aus
Goethes Feder: »du machst mich gar zum diebe, da du die diebin bist.«
    Darauf
folgt alles, was dem da angehört, dabei, daneben, davor sein. Dazwischen drängt
sich das Dach, dem der Dachbalken, die Dachkammer, das Dachgesims folgen und
der Dachhase, wie die Katze genannt wird. Und bald nach dem Dachs, für den
Bettines Briefe ein Zitat hergeben, »ich habe mich wie ein dachs, dem die
winterweit zu schlecht ist, in den warmen boden meiner eignen gedanken
vergraben«, stehen dadran und dadrüber. Darauf folgt nach kurzgehaltenen
Einschüben, die den verschollenen Wörtern Dafant für Taft und däffeln für
schlagen oder klopfen eingeräumt sind, das Adverb dafür.
    Dafür
sein, dafür halten, dafür büßen. Jemand ist reich, dafür aber auch geizig. Oder
das verneinende dafür im Fragesatz, wie bei Schiller zu finden: »kann ich
dafür, wenn eine knechtische erziehung schon in meinem jungen herzen der liebe
zarten keim zertrat?« Weshalb sich heutzutage jeder auf seit seiner Kindheit
dauerhafte Beschädigungen berufen darf: Dafür kann ich nichts, ich kann nichts
dafür, weil...
    Und
schon ist dem dafür ein dagegen gesetzt, auch dargegen wie bei Hans Sachs: »mir
grauet aber hart dargegen, mein hand an meinen herrn zu legen.« Wenn jemand
jedoch Hilfe erhalten hat und dagegen Treue verpfändet, steht dagegen auch für
dafür, weil »die braut nicht schön, dagegen klug sein kann«. Und weitere
Beispiele, die dafür wie dagegen sprechen, damit am Ende jeder Topf seinen
Deckel drauf hat.
    Dazu
fällt mir ein, daß ich während der Wahlkämpfe, die unsere im Jahr
neunundsechzig auf den Weg gebrachte Wählerinitiative bundesweit führte, einer
werbenden Zeitung den Titel »dafür« geben wollte. Und prompt bekam ich von den
zur Mitarbeit aufgeforderten Autoren viel dagegen zu hören. Weil sie seit
Jahren, wie die SPD seit einem Jahrhundert, im Dagegensein geübt waren, sahen
sich einige allenfalls dazu bereit, mit Gegenargumenten für die Zeitung »dafür«
zu schreiben.
    Dafürsein
war anrüchig. Dagegensein schmückte. Wer dafür stimmte, wurde von langgeübten
Neinsagern zur dumpfen Masse der Jasager gezählt. Wir stritten mit Lust, weil
erprobt im Dafür und Dagegen. Diese zwei Wörtchen sind das Salz jeder Debatte.
Wer stark im Dagegensein ist, schwächelt, sobald er dafür sein möchte, gerät
dazwischen, ist weder noch dabei.
    Man
kann aber aus Prinzip dagegen und mit Einschränkungen dennoch dafür sein:
Eigentlich oder unter Vorbehalt bin ich dafür. Manchmal genügt ein ironisches
Dafürhalten, um mit einem Dagegen in der Hinterhand Haltung zu beweisen. Darin
waren wir stark.
    Nach
andauerndem Disput oder Diskurs, wie man damals sagte, stimmten schließlich die
Historiker Jäckel und Sontheimer, sogar der Journalist Gaus dafür, und so
durfte unsere recht poppig aufgemachte Zeitung doch noch in hoher Auflage
gedruckt und unter dem provokanten Titel »dafür« erscheinen; sie trug, weil ihr
genügend viel dagegen beigemengt war, zum Erfolg unserer Aktion »Bürger für
Brandt« bei.
    Daher
oder dahero, wie es im barocken siebzehnten Jahrhundert hieß, rührt das
wankelmütige Dasein der Demokratie. Dadurch ist ihr

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