Grau - ein Eddie Russett-Roman

Amaranth. »Und es tut mir nicht mal leid. Das Mädchen hat sich einfach nicht in der Gewalt.«
    »Arbeiten kann sie jedenfalls, und wenn sie noch so asozial ist«, bemerkte von der Malve. »Und ihr Stupsnäschen ist geradezu entzückend.«
    »Entzückend«, wiederholte Turquoise.
    Sie unterbrachen ihre Plauderei und fielen gierig über die Scones her.
    Es wäre ein Zeichen schlechter Manieren gewesen, wenn ich mich unaufgefordert auch bedient hätte, also setzte ich mich still hin und legte die Hände in den Schoß. Ich dachte wieder an Jane. Amaranths Bemerkung, ob sie den Löffel gepackt habe, konnte sich nur auf Reboot beziehen. Man nahm nicht viel mit dorthin, außer einem Löffel, den hatte man immer dabei. So wie Travis Canary sollte also auch Jane mit dem Nachtzug nach Smaragdstadt geschickt werden, um Manieren beigebracht zu bekommen.
    »Aber vom Backen versteht sie was«, sagte Amaranth und nahm sich noch einen Scone.
    »Dafür hat sie sich glatt eine Merite verdient«, sagte Turquoise.
    »Als ob ihr das noch was nützen würde«, entgegnete Amaranth, und alle lachten.
    »Master Russett«, sagte von der Malve, der seinen Happen mit einem großen Schluck Tee hinunterspülte, »ich glaube, es ist besser, wenn Sie mir Ihre Rückfahrkarte überlassen, zur sicheren Aufbewahrung. Es gibt Elemente in unserem Dorf, die einen unerlaubten Wohnortwechsel anstreben. Hat man Sie übrigens schon gefragt, ob Sie bereit seien, Ihre Fahrkarte zu verkaufen?«
    »Nein, Sir«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Dorians Angebot sollte geheim bleiben.
    »Sie bekommen zehn Meriten, wenn Sie uns jeden verraten, der Sie darauf anspricht.«
    »Danke, Sir, ich werde es mir merken.«
    »Gut. Dann geben Sie mir jetzt bitte Ihre Fahrkarte.«
    »Ich, äh, würde sie gerne selbst behalten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Doch, Russett, ich habe ganz entschieden etwas dagegen«, erwiderte von der Malve scharf. »Vielleicht sind Sie der Ansicht, wir hier in der Randzone würden es mit unserer Verantwortung nicht ganz genau nehmen. Eins sage ich Ihnen, sollte Ihre offene Rückfahrkarte gestohlen werden, wären Ihre Möglichkeiten, ihren Horizont zu erweitern, empfindlich eingeschränkt.«
    Er hatte recht. Infolge eines Schlupflochs in den Regeln konnte eine offene Rückfahrkarte von jedem, der auf welche Weise auch immer in ihren Besitz gelangte, benutzt werden, denn ihre Gültigkeit durfte weder angezweifelt noch die Karte durch ihren ursprünglichen Besitzer annulliert werden. Somit war sie für jeden, der einen illegalen Wohnortwechsel versuchen wollte, von geradezu unschätzbarem Wert. Das erklärte die zweihundert Meriten, die Dorian mir geboten hatte.
    »Nein, Sir, aber … «
    »Kein Aber«, bellte Präfekt Amaranth. »Tun Sie, was der Oberpräfekt Ihnen sagt, oder wir behalten uns eine Anzeige wegen Grober Impertinenz vor.«
    Unter ihren vereinten missbilligenden Blicken knickte ich schließlich ein und händigte ihm meine Fahrkarte aus.
    Von der Malve nahm sie ohne ein weiteres Wort und steckte sie in seine Tasche.
    Exakt in dem Moment kam mein Vater durch die Haustür, und wir alle standen auf. Offenbar war er mit Mrs Schwefel in eine Auseinandersetzung verwickelt.
    »… und ich sage Ihnen, das sind Simulanten«, stellte sie klar. »Jeder, der das anders sieht, ist mit dem fahrlässigen Hang der Grauen zu Unaufrichtigkeit und Unwahrheit anscheinend nicht vertraut.«
    »Sie irren sich«, antwortete mein Vater, ohne die Stimme zu erheben, genau wie es der Anstand erforderte. »Ich halte meine Behauptung aufrecht, dass es ein Schnupfen ist. Es gilt daher Anhang III , rechtmäßiges Fernbleiben von der Arbeit.«
    »Ein Anstieg der Arbeitsunfälle hat unser Arbeitskräftepotential erheblich geschwächt«, entgegnete sie, hauptsächlich um von der Malve zu gefallen, »und von den jüngeren Achromatischen ist keiner auch nur annähernd sechzehn. Eine heftige Schnupfenepidemie würde eine ökonomische Katastrophe für den Ort bedeuten.«
    »Es könnte noch viel mehr bedeuten«, erwiderte mein Vater, diesmal mit mehr Nachdruck. »Bekanntermaßen kann Schnupfen zu Mehltau der Variante P führen, und wenn wir ihn nicht behandeln, kann sich die Epidemie weiter ausbreiten.«
    Er hatte nicht übertrieben. Vor vielen Jahren hatte der Mehltau alle Bewohner des Grünen Sektors Süd dahingerafft, und erst jetzt erlangte er langsam seine alte Sektorenstärke zurück. Ob Schnupfen oder nicht mal dahingestellt – der Ausbruch von