Grau - ein Eddie Russett-Roman
Mehltau hatte meistens erschreckend banale Ursachen.
Zum Glück hielt das Vorstellungsprotokoll meinen Vater von einer Fortsetzung des Streits ab.
»Entschuldigen Sie meine Verspätung«, sagte er und kam mit ausgestreckter Hand auf uns zu. »Senior-Aufseher Holden Russett, Mustermann, Urlaubsvertretung.«
»George Stanton von der Malve, Oberpräfekt.«
Von der Malve fuhr mit der Vorstellung der anderen Präfekten fort, und mein Vater gab nacheinander Turquoise und Amaranth die Hand, dann bat er mich, frischen Tee für sich und Mrs Schwefel zu kochen. Ich gab den Auftrag an Jane weiter, die kommentarlos den Kessel wieder auf die Gasflamme setzte.
»Haben Sie auf der Fahrt hierher irgendwelche Anzeichen von Gesindel beobachtet?«, hörte ich Mr Turquoise meinen Vater fragen, als ich wieder ins Zimmer trat.
»Nein, keine. Gibt es so weit im Westen noch welches?«
»Man kann nicht vorsichtig genug sein. Vor zwei Jahren mussten einige Zugpassagiere mitten auf der Strecke, dreißig Kilometer von hier, einen Hagel höhnischer Bemerkungen und obszöner Gesten über sich ergehen lassen. Ein Aufgebot aus Blaustadt hat später das Lager entdeckt, aber bis dahin war zum Glück das ganze Gesindel längst der Fäulnis erlegen. In dieser Region scheint mir Gesindel besonders anfällig für den Mehltau. Ich glaube, es liegt an der Feuchtigkeit.«
»Aber wirklich«, bemerkte Sally Schwefel, »es ist das Beste für sie.«
»In unseren Breiten schlagen wir uns mit einigen monochromen Fundamentalisten herum«, warf mein Vater ein. »Sie zerstören Farbeinspeisungsrohre und Ähnliches. Aber in letzter Zeit waren sie nicht mehr so aktiv.«
»Spielverderber«, murmelte Amaranth.
»Übrigens, diese Selbstfehldiagnose von Ocker«, sagte mein Vater, »schreckliche Sache.«
»Allerdings«, konterte von der Malve nüchtern. »Der Verlust eines Mustermanns ist immer bedauerlich, und ein Verlust durch eine Fehldiagnose ist reine Verschwendung. Aber vielleicht ist es besser so.«
Den anderen Präfekten war plötzlich unbehaglich zumute. Ich wunderte mich. Irgendwas Seltsames ging hier vor.
»Besser so?«, wiederholte mein Vater. »Warum?«
Turquoise wählte seine Worte bedächtig.
»Es hat … Unregelmäßigkeiten in der Musterpalette des Dorfes gegeben«, antwortete Turquoise. Er spielte damit auf den großen Vorrat an Heilfarben an, die im Colorium aufbewahrt wurden. Die Große Musterpalette eines Chromatikologen konnte bis zu tausend verschiedene Farbschattierungen enthalten, weit mehr als das Reiseset, das mein Vater mitgebracht hatte.
Dad fragte, was für Unregelmäßigkeiten gemeint seien, doch von der Malve schlug vor, sie sollten »die Angelegenheit nach dem Tee im Colorium besprechen«.
»Eine höchst delikate Situation«, sekundierte Turquoise.
»Haben Sie unsere Knisterfalle bemerkt, als Sie ins Haus kamen?«, fragte Mrs Schwefel, geschickt das Thema wechselnd, während von der Malve sich zu seinem dritten Scone verhalf.
»Nun, sie ist ja kaum zu übersehen«, antwortete mein Vater zerstreut, »sehr beeindruckend.«
»Wir haben hier viele Blitzeinschläge«, erklärte Mrs Schwefel. »Deswegen führen wir regelmäßig Übungen durch. Auf der Rückseite der Küchentür finden Sie alle nötigen Hinweise.«
Es entstand eine Pause.
»Wie ich gehört habe«, sagte von der Malve und sah meinen Vater dabei durchdringend an, »wurden Sie heute Morgen in der NationalColor-Niederlassung Zeuge eines Zwischenfalls.«
»Hat sich ja schnell herumgesprochen.«
»Der Gelbe Präfekt von Zinnober hat uns ein Telegramm geschickt.«
Mein Vater berichtete in groben Zügen, was in dem Farbengeschäft vorgefallen war. Die Präfekten hörten aufmerksam zu.
»Ich verstehe«, sagte von der Malve, als mein Vater ans Ende seiner Geschichte gelangt war. »Offenbar ist der Graue, der sich des schwerwiegenden Verbrechens der Falschkennzeichnung schuldig gemacht hat, kurz nach seiner Einlieferung ins Colorium der Fäulnis erlegen. Die Zuständigen fragen sich, ob Sie vielleicht etwas wissen, was Licht in die Frage seiner Identität bringen könnte.«
Jane war mit einer Kanne frisch zubereiteten Tees und zusätzlichen Tassen ins Zimmer getreten und erledigte jeden Handgriff doppelt so langsam, um sich kein Wort des Gesprächs entgehen zu lassen.
»Er war ein LD 2«, sagte mein Vater, nachdem er kurz überlegt hatte.
»Unser Nationalregister verzeichnet zweiundachtzig LD 2«, sagte Mrs Schwefel. »Bis wir alle aufgespürt haben, wird es
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