Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag

Vom Netzwerk:

ein weiteres Wort davon.
    »He!«, rief ich hinter ihr her, nicht zu laut, denn ein Yateveobaum spürt selbst leiseste Vibrationen. »Was wird jetzt aus mir?«
    Sie blieb verschwunden. Besorgt sah ich hinauf zu den Lianen, die ihre Stacheln noch immer gereckt hielten, jederzeit bereit zum Angriff, ich brauchte nur einmal zu zucken.
    »Ach verdammt«, murmelte ich.

Nach Hause
    2.3.06.02.087 : Unnötiges Bleistiftanspitzen stellt eine Verschwendung öffentlicher Ressourcen dar und wird streng bestraft.
    Falls Sie jetzt durcheinandergekommen sind – nicht nötig. Dieses Mal hatte Jane mich noch nicht dem Yateveo zum Fraß vorgeworfen, das kommt erst noch. Was fleischfressende Bäume betraf, haben sie und ich eine gewisse Routine, auch wenn sie nicht gut aussah, jedenfalls nicht für mich.
    Achtunddreißig Minuten brauchten mein Vater und Fandango, bis sie sich endlich dazu herabließen, nach mir zu suchen, und als sie mich fanden, war ich schweißgebadet, und meine Beine hatten begonnen zu zittern. Sie amüsierten sich darüber.
    »Sieh an, sieh an«, sagte mein Vater mit einem leicht spöttischen Lächeln. »Eddie, mein Junge, ausgetrickst von einem Baum.«
    Er senkte die Stimme und trat vorsichtig auf.
    »Süße Rache für all die vielen knisternden Holzfeuer«, schob Fandango noch nach. »Wo ist mein Wasserkanister?«
    »Da drüben. Könnt ihr nicht irgendwas tun? Ich kriege allmählich einen Krampf in den Beinen.«
    Behutsam ging Dad um den Baum herum auf die andere Seite, rollte ein Stück Holz in den Einzugsbereich, und mit Lichtgeschwindigkeit sausten die stacheligen Lianen des Yateveos herab, packten das Stück, rissen es hoch, hielten einen Moment inne und schleuderten es dann in den Wald, wo es mit einem dumpfen Schlag auf den Boden prallte. Der Baum schien groß und stark genug, um mehrfach zuschlagen zu können, deswegen wartete Dad eine Minute ab, bis sich die Lianen beruhigt hatten, und rollte dann das nächste Stück in den Bereich. Wieder fuhren die Äste herab, aber schon etwas langsamer als beim ersten Mal. Bei dem vierten Stück Holz fielen die Bewegungen der Lianen nur noch sehr träge aus, und ich spazierte einfach aus dem Gefahrenterritorium heraus und duckte mich, als die Greifarme müde in meine Richtung schwenkten.
    »Mich hat auch mal einer erwischt«, erzählte uns der Colormann etwas später, nachdem sie sich alle drei noch mal herzlich auf meine Kosten amüsiert hatten. »Wenn nicht sieben Leute halb verdaut unter mir gelegen hätten, würde ich heute nicht hier stehen.« Und er fügte noch hinzu: »Guter Tipp: Wenn Sie doch gefressen werden sollten, dann lieber mit dem Kopf zuerst. Dann haben Sie es schneller hinter sich.«
    »Vielen Dank«, sagte ich missmutig. »Ich werde es mir merken.«
    »Gern geschehen. Ach, übrigens, Sie haben zwei Rhinosauri verpasst. Die haben dreißig Meter von hier die Straße überquert. Ich habe ihre Strichcodes protokolliert, falls Sie sie haben wollen.«
    Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich mich geärgert, weil mir der Anblick von Megafauna entgangen war, doch heute hatte ich ganz andere Dinge im Kopf. Ganz oben stand das Gebot, Jane in Ruhe zu lassen, mich lieber darauf zu konzentrieren, Constance zu gewinnen und so schnell wie möglich aus Ost-Karmin zu verschwinden. Und nur um Jane zufriedenzustellen, setzte ich noch ›fehlgeleitete Neugier‹ mit auf die Liste.
    Nach ungefähr drei Vierteln der Quarantänezeit ging Dad die Liste der typischen Fäulnis-Symptome durch, beschleunigter Nagelwuchs, gefühllose Ellbogen, zerbröselnde Ohren. Keiner von uns zeigte dergleichen Erscheinungen, wir waren also sauber, durfte man annehmen. Mehltau macht sich zwei Stunden nach der Infektion bemerkbar, manchmal eher, niemals später.
    »Ich habe gehört, dass du deinen Ishihara bei uns ablegen wirst«, sagte Fandango, nachdem die Quarantäne abgelaufen war und wir uns auf der Rückfahrt nach Ost-Karmin befanden.
    »Das ist eine sehr große Ehre«, sagte ich voller Ernst.
    »Meine Tochter Imogen bekommt dieses Jahr auch die Testkarten gezeigt«, führte er aus. »Sie wird wohl als Violette abschneiden – ein rezessiver Rückbezug zum ausgeprägten Purpur der Großmutter mütterlicherseits.«
    »Ach, tatsächlich?«, sagte ich, und ich dachte an Tommos Anschuldigung, Imogen sei das Produkt gekaufter Elternschaft im Grünen Drachen. »Da können Sie stolz drauf sein.«
    »Wir sind sehr stolz, und wir wollen nur das Beste für sie. Dabei fällt mir ein – kennst du