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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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mich Matthew.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Wirklich.«
    Sobald ich mich um die Wäsche des Colormanns gekümmert und mir passendere Tageskleidung angezogen hatte, lieferte ich den Caravaggio ab. Der Rote Präfekt Amaranth freute sich wie ein kleines Kind, als ich ihm das Gemälde übergab.
    Voller Bewunderung betrachtete er die Leinwand. »Wir bringen es bei unseren Koschenilles unter«, verkündete er. »Da steht schon ein van Gogh, und sie wissen, wie man mit solchen Sachen am besten umgeht. Vielleicht lasse ich es in eine Malvorlage nach Zahlen kopieren und dann mit synthetischen Farben übermalen, damit alle diese Pracht bestaunen können.«
    »Unsere Mrs Adler hat auf ihrem Flur im ersten Stock den Schiffbruch der Minotaur hängen«, sagte ich, um nur ja nicht zurückzustehen, »und Ruth G9 hat einen Renoir.«
    »Sie sollten sich erst mal unseren Vermeer ansehen«, entgegnete Amaranth. »Er hängt in der Grauen Zone, aber vielleicht finden Sie ja jemanden, der Sie hinein- und wieder herausschleust.«
    Kurz vor eins schlenderte ich über den Markt zum Rathaus. Die Regeln besagten nicht eindeutig, welche der drei Tagesmahlzeiten in der öffentlichen Kantine eingenommen werden musste, aber meistens ging man zum Mittagessen hin. Lucy Ocker war eine der wenigen, die ich kannte, unter den vielen, die sich schon versammelt hatten und farbübergreifend miteinander schwatzten, bevor wir alle wieder an unseren jeweiligen Tischen zu sein hatten. Zum Glück hatte die Anwesenheit des Colormanns die Nachricht über mein Erlebnis mit dem Yateveo in den Schatten gestellt.
    »Hallo!«, sagte ich, aber Lucy sah mich nur verständnislos an.
    »Ich bin es. Eddie.«
    »Entschuldige«, sagte sie. »Ich war mit den Gedanken woanders. Danke für deine Hilfe mit dem Lincoln heute Morgen. Aber ich muss dich bitten, es mir zurückzugeben. Mummy wird merken, dass es fehlt.«
    »Ich habe es zerstört.«
    Das war eine Lüge, aber wahrscheinlich war es nur zu Lucys Bestem.
    »Ich sage ihr, dass Tommo es gestohlen hat. Ich brauche einen guten Grund, um ihn von unserem Haus fernzuhalten.«
    Ich erkundigte mich so behutsam wie möglich nach ihrem Vater. Er hätte gerne mal zu tief ins Lincoln geschaut, antwortete sie, aber niemals hätte er das Grüne Zimmer missbraucht.
    »Ich weiß nicht, was er da drin gemacht hat«, sagte sie, »aber es war keine Fehldiagnose, und schon gar nicht hat er sich Grünes Licht gegeben.«
    Sie fiel in ein grüblerisches Schweigen, deswegen wechselte ich das Thema.
    »Du hattest mich darum gebeten, dir etwas mitzubringen. Hier ist es«, sagte ich und gab ihr den Löffel, den ich in Rostberg geborgen hatte. Ich hatte ihn in einen Strumpf gewickelt, damit man ihn nicht sah. Aufgrund der schon erwähnten Konnotation war ›jemandem einen Löffel geben‹ ein stehender Begriff geworden, der heute recht anstößig war und einen unbescholtenen Menschen leicht in Erklärungsnöte bringen konnte. Deswegen hatte ich die Geschenkübergabe zusätzlich mit den Worten »Du hattest mich darum gebeten« eingeleitet.
    »Oh!«, sagte sie. »Du hast daran gedacht?«
    Ich nickte, und sie sagte, ich sei ein Schatz.
    »Wie kann ich das wiedergutmachen?«
    »Nicht nötig. Wirklich nicht«, versicherte ich ihr, für den Fall, dass meine Absichten missverstanden wurden. »Es ist ein Geschenk.«
    »Was ist hier los?«, fragte Tommo, der es nicht gerne sah, wenn wir beide uns unterhielten.
    »Eddie hat mir gerade einen Löffel gegeben«, sagte Lucy ganz unschuldig.
    »Wie bitte?!«
    »Einen Löffel, Tommo. Den Gegenstand!«
    »Ach so«, sagte er und beruhigte sich wieder.
    »Dumm von mir«, sagte Lucy. »Ich muss einfach aufpassen, was ich sage.«
    Wir saßen am selben für Rote vorbehaltenen Tisch wie beim Frühstück, und Lucy fing ein Gespräch mit einem Mädchen am anderen Ende des Tisches an. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber sie zeigten auf mich und kicherten.
    »Sag mal«, wandte sich Tommo an mich, »du bist doch nicht etwa verschossen in Lucy, oder?«
    »Ganz und gar nicht.«
    »Hm«, sagte er. »Immer noch scharf auf ein bisschen Fummeln mit Crazy Jane?«
    »Nein – ich hab keine Lust auf eine Abfuhr.«
    »Ist auch besser so. Wie war es in Rostberg?«
    »Spannend«, sagte ich und gab ihm einen ausführlichen Bericht über alles, was in den achtundzwanzig Minuten, die ich dort verbracht hatte, geschehen war. Die Legion der Toten, die fäulnisbefallenen Bauten des Dorfes, die Bergung des Caravaggio, der Farbhydrant und

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