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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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soll eine Grüne geben, aber als ernsthafte Schauspieler stellen wir die Kunst über den Spott, dem wir uns aussetzen.« Sie kniff die Augen zusammen und sah mich an. »Du wirst mich nicht verspotten, oder?«
    »Wie käme ich dazu. Ich habe mal den Nathan in Greys and Dolls gespielt.«
    »Schrecklich. Wie peinlich«, sagte sie lachend. »Du musst dir wie der letzte Idiot vorgekommen sein. Aber mal etwas anderes – siehst du viel Rot?«
    Die Frage war vorhersehbar gewesen. Tommo hatte gesagt, Mrs von der Malve sei eine Marineblaue, Violetta musste also im blauen Bereich von Purpur liegen. Wenn die von der Malves weiter ganz oben mitspielen wollten, brauchte Violetta den Mann mit den meisten Rotanteilen. Nur so würde der Nachwuchs wieder zu dem alten Farbton aufsteigen.
    »Sag nein«, flüsterte Tommo mir wenig dezent zu.
    »Halt die Klappe, Fox. Was ist, Master Edward?«
    Ich überlegte, ob ich lügen und ihr sagen sollte, ich sähe nur sehr wenig Rot, aber nach einigem Nachdenken kam ich zu dem Schluss, dass ich ihr überhaupt nicht antworten musste, nur weil sie gefragt hatte.
    »Diese Frage brauche ich nicht zu beantworten, Miss von der Malve.«
    »Da irrst du dich«, sagte sie trotzig. »Also, wie viel Rot siehst du?«
    Wir starrten uns einen Moment lang an, dann brach Violetta in Lachen aus und stupste gegen meine Schulter.
    »Diese Russetts! Immer am Rumalbern. Vergiss nicht, zur Orchesterprobe zu kommen. Mittwochnachmittags, gleich nach dem Tee. Übrigens, in eurem Wasserkrug ist ein Zeh.«
    Es war noch ein anderes Mädchen aufgetaucht. Sie war etwas schlanker als Violetta und kam offenbar gerade vom Hockeytraining, denn sie hatte einen Hockeyschläger in der Hand.
    »Sieh an, sieh an«, giftete Violetta. »Daisy Karmesin. Ich habe gehört, du willst für die Rolle der Maria vorsingen. Fühl dich nicht ausgestoßen, wenn du sie nicht kriegst.«
    »Entschuldige bitte«, sagte Daisy und lächelte Violetta dabei freundlich an. »Hast du was gesagt? Ich musste gerade an Schafe denken.«
    Violetta lächelte ebenfalls, absolut freudlos, und rempelte bei ihrem Abgang absichtlich gegen Daisys Schulter.
    »Na ja«, sagte Daisy, setzte sich an unseren Tisch und trank ungefragt aus Tommos Glas, nachdem sie im Wasserkrug den Zeh entdeckt hatte. »Wer immer das zur Frau kriegt, den erwartet ein fürchterliches Schicksal. Wer ist im Moment der Favorit?«
    »Dein Bruder«, sagte Tommo. »Seine Chancen stehen fifty-fifty.«
    »Den muss ich mir mal zur Brust nehmen. Violetta als Schwägerin, das wäre unsäglicher Horror. Hallo. Ich bin Daisy Karmesin. Du musst Edward sein.«
    Tommo stupste mich an, und mir fiel wieder ein, dass Daisy und ich ja verheiratet werden sollten, wenn es nach Tommos Eheliga ging.
    »Eddie«, sagte ich und schüttelte ihre Hand. »Freundschaft?«
    »Freundschaft.«
    Eigentlich war sie sogar ganz hübsch. Sie sah älter aus, als sie war, hatte schulterlanges Haar, und ihr Nasenbein war sehr fein und mit dunklen Sommersprossen gesprenkelt. Die Nase selbst war, wie Tommo schon bemerkt hatte, eine Stupsnase.
    »Meinen Glückwunsch zur Wiederbeschaffung des Caravaggio«, sagte sie. »Das Dorf war bis jetzt immer ein bisschen zu gut bedient mit Postimpressionisten, und unseren Picasso haben wir an Yellopolis ausgeliehen, das gerade eine Retrospektive ausrichtet. Vor den von der Malves musst du dich übrigens in Acht nehmen. Wenn du dich mit der Meute anlegst, kannst du dir auch gleich einen Skorpion ins Bett legen.«
    »Das gefällt mir an diesem Dorf«, gestand ich. »Alle sind so freundlich zueinander.«
    »Daisy hat recht mit ihrem Skorpion«, warf Tommo ein. »Deswegen habe ich Violetta auch nicht als Anwärterin in die Aufstellung deiner Heiratsaussichten aufgenommen. Außerdem ist Doug Karmesin unser stärkster Roter. Er wird die A-Karte ziehen und ihr den Ring ans Pfötchen stecken.«
    »Und wie steht Doug dazu, dass er in die Familie von der Malve einheiraten soll?«, fragte ich.
    »Er hofft inständig, dass er doch nicht so viel Rot sieht, wie er glaubt«, murmelte Daisy, die zweifellos besorgt war um ihren Bruder.
    Ich verstand sie gut. Obwohl man beim Ishihara unmöglich mogeln konnte und die meisten eine ungefähre Vorstellung hatten, wie viel sie von einer Farbe sehen konnten, gab es doch häufig Überraschungen; plötzlich konnten rezessive Veranlagungen hervortreten und selbst Kinder alteingesessener Grauer eine Farbwahrnehmung an sich feststellen, die sie sich nie hätten träumen lassen.

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