Graue Schatten
oder was? Wenn ich sage, wir waren die ganze Zeit zusammen, dann war es auch so. Es war dann halt jemand anders.“
Larissa musterte ihre Freundin. Es wirkte nicht so, als würde sie lügen. Aber Betti konnte lügen, das wusste Larissa auch.
Larissa redete nicht mehr viel. Ihre Gedanken drehten sich ständig im Kreis. Um Kevin, um ihre Freundin und um deren rätselhaften Freund. Immer wieder fragte sich Larissa, ob sich Betti die unglaubliche Geschichte womöglich doch nur ausgedacht hatte, und wenn ja, warum. Und wieso behauptete sie stur, am Sonntag um fünf mit Andrej zusammen gewesen zu sein? Es war zwar ein bisschen schummerig gewesen im Kellergeschoss im Heim. Das Licht war nicht an gewesen, es hatte nur aus dem Treppenhaus hereingeschienen. Trotzdem, es war ganz sicher Andrej gewesen, der da ein Getränk aus dem Automaten ziehen wollte!
Sie blieben nicht mehr lange. Betti meinte, sie wolle zu Hause sein, wenn Andrej von seinem Kunden zurückkam. In Lauffen wurde Larissa dann direkt zur Wohnung ihres neuen Lovers gelotst, und sie stellte fest, dass der Weg dorthin nicht wirklich schwer zu beschreiben gewesen wäre.
Nachdem Larissa Betti abgesetzt hatte, kam das Gefühl der Einsamkeit wieder. Sie musste an die alten Zeiten denken. Zu der Zeit, als Betti in Kevin verliebt gewesen war, hatte sich ihre Freundin nicht so abgekapselt. Sie hatte damals nie so früh heim gewollt, wenn sie mal zu zweit weg gewesen waren. Aber damals hatten sie auch noch keine Geheimnisse voreinander gehabt.
Warum konnte nichts so bleiben, wie es war?
Sonntag
Larissa war heute bei ihren Eltern zum Mittagessen eingeladen. Die wohnten nun seit fast sechzig Jahren in Spiegelberg, eine halbe Autostunde entfernt. Einerseits freute sie sich drauf. Andererseits würde ihre Mutter früher oder später wieder mit der alten Leier kommen: Wann würde der Topf mit dem Namen Larissa endlich seinen Deckel finden. Das nervte mit der Zeit.
Außerdem lebten die beiden in einer anderen Welt. Sie würden nicht verstehen, warum ihre Tochter so durcheinander war und sich endlos einsam fühlte. Dass sie sich Sorgen um jemanden machte, der gerade im Knast saß und dazu noch der Exfreund ihrer Freundin war, das würden sie mit dem Rat abtun, sich – um Gottes Willen – aus allem rauszuhalten. Sie wussten wahrscheinlich auch nicht so richtig, was es hieß, Freunde zu verlieren. Genau das war es aber, was Larissa momentan befürchtete.
Betti hatte sie anscheinend schon verloren. Zumindest die Betti, die sie seit zehn Jahren kannte und die ihre beste Freundin gewesen war. Die, die mit ihr jedes Geheimnis teilte.
Und Kevin? Wenn der auf Dauer im Gefängnis landen würde, dann hätte sie auch ihn verloren.
Wie sollte sie sich da aus allem raushalten? Sie musste unbedingt mit jemandem reden, über Kevin und alles, was passiert war. Noch bevor sie zu ihren Eltern fahren würde. Aber mit wem? Locke fiel ja nun auch weg. Was blieb ihr übrig, als wieder mal einen kurzen Besuch im Heim zu machen. Mal hören, was Bodo oder Max zu erzählen hätten.
Im Hof traf sie Frau Blanck, die Schwiegertochter einer Bewohnerin von Station B. Sie kam jeden Abend, und am Sonntag war sie schon am frühen Nachmittag oder so wie heute vormittags da. Sie blieb manchmal bis in die frühen Abendstunden. Frau Blanck wurde das Tagblättle vom Sonnenweiß genannt. Wenn irgendwo im Haus oder im Städtchen etwas passiert war, sie konnte darüber Auskunft geben.
Aber Larissa war sich nicht sicher, ob das Blättle schon wusste, dass Frau Sausele ermordet worden war. Das gesamte Pflegepersonal war vom Heimleiter und von Stur noch einmal darauf hingewiesen worden, dass dies ein Betriebsgeheimnis sei und weder Bewohnern, deren Angehörigen, noch sonst irgendwem gegenüber erwähnt werden dürfe. Aber irgendwie sickerte immer etwas durch, und irgendwann würden es die Leute erfahren. Die Blanck würde sicher eine der Ersten sein, soviel war klar.
Sie kamen sofort auf Frau Müller und die Kripo zu sprechen. Dieses Unglück hatte ja schon längst die Runde gemacht. Aber keine von beiden erwähnte Frau Sausele. Dann fing Frau Blanck von Kevin an, dessen Freundin wohl weggelaufen sei, und wie es ihm wohl ginge.
„Nicht so gut, glaube ich“, antwortete Larissa kurz, aber wahrheitsgemäß.
Meistens war es nicht nötig, viel zu sagen, weil Frau Blanck am liebsten selber redete. Sie sprang auch sofort von Bettis Exfreund zu Larissas noch nicht vorhandenem, indem sie fragte, ob noch immer
Weitere Kostenlose Bücher