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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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alles sagen, sonst hast du keine Ruhe vor dem Typen. Die glauben dir sowieso mehr als ihm. Der hat nämlich Dreck am Stecken. Die Polizei hat mich gefragt, ob ich ihn am Freitag während der Frühstückspause im Schwesternzimmer gesehen habe. Sie haben mich total ausgefragt über den Kerl. Irgendwas stimmt mit dem nicht.“
    „Meinst du? Die werden mich wohl nicht einsperren?“
    „Unsinn! An so was nur zu denken! Niemals stecken die dich ins Gefängnis, eher Locke. Ich mache dir einen Vorschlag: Du frühstückst jetzt noch was, denn mit nüchternem Magen zur Polizei zu gehen, ist nicht gut. Dann rufe ich bei der Kripo an. Ich hab die Telefonnummer von einem ganz netten Kommissar. Dem erzähle ich, was dir Übles passiert ist, und dass es dir schlecht geht. Und wenn du heute Vormittag noch hinkommen sollst, fahre ich dich gleich nach Heilbronn. Okay?“
    Anna nickte. „Okay.“
    „Hast du das alles deiner Mutter erzählt?“, fragte Larissa.
    „Nee, die hat ihre eigenen Sorgen, mit ihrem Job und dem neuen Macker und so.“
    „Na toll. Um ihre Tochter sollte sie sich aber auch Sorgen machen.“
    „Macht sie ja. Sie fragt ja immer, was es Neues gibt und so.“
    „Und warum erzählst du ihr's dann nicht?“
    „Weil sie sowieso nicht zuhört.“
    „Das kommt mir irgendwie bekannt vor.“
    „Jedenfalls hört sie nicht richtig zu“, jammerte Anna weiter. „Sie will bloß immer hören, dass alles super ist. Aber wenn's Stress gibt, kommt sie nur mit blöden Sprüchen, oder macht gleich auf Panik, als ob die Welt untergeht. Meistens lässt sie mich nicht mal ausreden.“
    „Das kenne ich allerdings gut.“
    Nebenher hatte Larissa Strobes Visitenkarte mit der Durchwahl zu seinem Büro aus der Brieftasche geholt. Der Hauptkommissar hatte sie ihr, so wie anderen Mitarbeitern auch, schon nach der ersten Befragung mit der bekannten Floskel „Wenn Ihnen noch was einfällt ...“ in die Hand gedrückt.
    Jetzt sie nahm den Hörer in die Hand und tippte die Nummer.

    „Gut. Sie sind sich also sicher, dass Herr Locke ein zweites Paar Arbeitsschuhe im Spind hatte. Das war das Erste, was Sie mir mitteilen wollten. Und Ihre zweite Beobachtung hat mit Frau Sausele zu tun, sagten Sie?“
    Häuptling Strobe scheint ja wahrhaft interessiert zu sein, dachte Kevin. Bevor der Untersuchungsgefangene zur eigentlichen Angelegenheit kommen konnte, hatte er sich zuerst einmal beschweren müssen, weil er schon vor zwei, drei oder mehr Stunden hatte ausrichten lassen, dass er eine Aussage machen wollte. So genau bekam man ja in dem Loch nicht mit, wann wie viel Zeit vergangen war. Das Wochenende war jedenfalls das längste seines Lebens gewesen.
    „Wird Locke jetzt auch inhaftiert, oder reicht ein Schuldiger, damit man die Akte zuklappen kann?“
    Kevin konnte sich die sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. Obwohl er schon festgestellt hatte, dass ihn der Hauptkommissar, der ihm an dem Tischchen in seiner Zelle gegenübersaß, gar nicht mehr als Schuldigen behandelte.
    „Das kommt darauf an. Beantworten Sie doch bitte meine Frage.“
    „Okay.“ Kevin war sich nicht sicher, ob das, was er jetzt berichten wollte, nicht doch seiner Fantasie entsprang. In dieser reizarmen Umgebung blühte die Erinnerung anscheinend umso bunter. Er hatte auch weiterhin Albträume gehabt. Und er hatte weiter intensiv darüber nachgedacht, was diese Träume ihm sagen wollten. Er hatte etwas erlebt, das irreal und schattenhaft, aber zugleich vertraut und fast greifbar war – und es eine Woche lang verdrängt.
    Er sah sich immer wieder den dunklen, nur von den hinter Blenden versteckten Notfunzeln beleuchteten Gang entlang gehen. Sonntagnacht, fünf nach halb zwei. Frau Schmidt hatte geklingelt. Er kam aus ihrem Zimmer. Als er ihre Zimmertür geschlossen hatte, nahm er es wahr, auf dem Gang. Es gehörte nicht hierher. Es war nur ein Hauch gewesen, aber deutlich genug.
    Ich bilde mir das nicht ein, sagte er sich jetzt. Auf diesem Gang da oben roch es immer nach Fäkalien oder nach Desinfektionsmitteln. Doch er hatte den Geruch ignoriert, der ihm einen Augenblick lang in die Nase gestiegen war. Er war einfach weitergelaufen. Warum? Weil er müde gewesen war, gedacht hatte, das könne ja nicht sein, es wäre eine Sinnestäuschung.
    Unsinn! Er hatte sich gar keine Gedanken darüber gemacht. Vielleicht hatte er es gar nicht wahrnehmen wollen, dass da etwas nicht stimmte. Er hatte seine Ruhe haben wollen! Und dann hatte er ihn verdrängt, diesen Geruch, der

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