Grauen im Grand Hotel
Nerven besaß kein Mensch, vorausgesetzt, Satorius war einer.
Dennoch visierte er die Stirn an.
»Ja, schieß!«
Golenkow hatte bereits seinen Zeigefinger um den Abzug gelegt. Er brauchte ihn nur um eine winzige Idee nach hinten zu ziehen. Das tat er.
Nichts geschah, bis auf ein leises ›Klick‹.
Er versuchte es noch einmal, auch ein drittes Mal. Und mit jedem Versuch breitete sich das Lächeln stärker auf den Lippen des Mannes vor ihm aus.
Die Waffe wurde so schwer, so verflucht schwer. Gleichzeitig spürte Wladimir, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Sein Herz begann zu flattern, es schlug viel zu schnell, auch wenn er sich äußerlich ruhig gab.
»Muß ich es dir erklären?« fragte Satorius. »Es ist sehr simpel. In der Waffe steckte nur eine Kugel, und die hat ausgereicht, um den Mann umzubringen.«
»Ja, ich weiß.«
Satorius nickte. »Möchtest du noch immer, daß meine beiden Freunde ihre Waffen hervorholen?«
Golenkow starrte ihn an. In seinen Augen leuchtete es kalt wie Sternenlicht. Dann schüttelte er den Kopf, holte tief Luft und flüsterte:
»Ich glaube nicht, daß es nötig ist.«
»Das denke ich auch, Russe. Bisher lief es nach deinen Regeln ab. Jetzt sind meine an der Reihe.«
Wladimir nickte. Es sah aus, als würde er aufgeben wollen. »Sicher«, wiederholte er, »jetzt bist du an der Reihe. Und das glaube ich dir sogar. Tut mir leid, daß ich…«
Er riß den rechten Arm hoch, noch bevor sich die beiden Kettenhunde bewegten.
Mit ungeheurer Wucht schleuderte er die schallgedämpfte Waffe auf den Psychologen zu…
***
Unter den Reifen meines kleinen Leihgolfs knirschten die kleinen, grauen Steine, als ich den Serpentinenweg zum Hotel hochrollte. Ich stand noch immer unter dem Eindruck der Gegend, die ich durchfahren hatte, und auch der Ort Sils-Maria war ein Traum. Kaum vorstellbar, daß sich hier das Verbrechen oder das Grauen eingenistet haben sollte. Dem großzügig gebauten und mit einer ebenfalls großzügigen Treppe versehenem Eingang lagen die Parkplätze gegenüber. Sie waren überdacht und erinnerten mich an eine Pergola. Es waren noch genügend Plätze frei, so daß ich mir die Parktaschen aussuchen konnte. Ich hätte den Wagen auch in die Tiefgarage fahren können, deren Zufahrt in der Nähe lag, darauf verzichtete ich aus naheliegenden Gründen, wenn ich schnell starten wollte, war es besser, das Fahrzeug greifbar zu haben.
Ich stieg aus, nahm den Koffer vom Beifahrersitz und schloß die Tür ab. Tief atmete ich die klare Bergluft ein. Das war Balsam für meine Lungen. Meine Ankunft war beobachtet worden. Mit hastigen Schritten lief ein noch junger Hoteldiener die Treppe hinab, der sich um mein Gepäck kümmern wollte.
»Es ist nur der eine Koffer.«
»Darf ich trotzdem?«
»Bitte.«
Hinter ihm ging ich die Treppe hoch und erreichte einen vorgebauten Windfang. Eine Tür führte an der rechten Seite zu einem Keller hin, wo im Winter die Ski-Utensilien aufbewahrt wurden.
Flankiert wurde der breite Glaseingang von ebenfalls gläsernen Vitrinen, in denen die Dinge ausgestellt waren, die man im tiefer liegenden Ort auch in den entsprechenden Geschäften käuflich erwerben konnte. Zumeist Sachen, die irgend etwas mit Folklore und dieser herrlichen Umgebung zu tun hatten.
Von innen wurde uns die Tür aufgehalten, so daß ich die große, prächtige, rund gebaute Jugendstilhalle betreten konnte, deren Parkettboden mit dicken Teppichen belegt war. Die Sessel, Tische und bequemen Lehnstühle paßten dazu und auch die breiten Fenster im Hintergrund, die einen herrlichen Blick auf die hohen Tannen und Lärchen freigaben, deren Zweige sich im leichten Wind bewegten. Eine ideale Urlaubslage.
Ein kleiner Teil der Halle wurde von der Rezeption eingenommen. Neben ihr führte eine sehr breite Treppe nach oben. Ein bunter Läufer bedeckte die Mitte, und glänzende Messingstangen hielten den Teppich fest. Neben dem schmiedeeisernen Geländer lief noch eine Kordel entlang. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß in diesem Grand Hotel die Zeit stehengeblieben war, aber mir gefiel es.
Hier war man nicht eingeklemmt wie in vielen modernen Schuppen der Mittelklasse, sondern konnte noch richtig durchatmen, ohne jedoch auf die Errungenschaften der Zivilisation verzichten zu müssen. Selbstverständlich gab es auch einen Lift.
Ein braunhaariger Mann, dessen Gesicht eine gesunde Farbe hatte aufwies, trat lächelnd auf mich zu.
Er stellte sich als Reto Kirchner vor und war der
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