Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
nicht mehr«, schwärmte Frau
Harscher, die genauso fit erschien wie ihr Mann. »Die Qualität, die wir hatten,
finden Sie in keinem Supermarkt.«
Linkohr nickte anerkennend,
obwohl er nicht gerade ein Weinkenner war. »Ihre Weinhandlung bot reichlich
Platz für die Lagerung solch edler Tropfen«, kam er zur Sache – wohl
wissend, dass sich Gespräche mit älteren Menschen, die in Vergangenem
schwelgten, über Stunden hinziehen konnten. Dazu war er heute nicht aufgelegt.
Denn Nena wartete eine dreiviertel Autostunde entfernt in Schorndorf.
»Das waren ideale Bedingungen«, knüpfte Harscher an
Linkohrs Feststellung an. »Uralte Eichenfässer, noch vom Großvater des
Vorbesitzers, dem Mollenkopf. Und eine konstante Temperatur von etwa 8 Grad.
Sommers wie winters.«
»Ich
hab Ihnen ja bereits am Telefon angedeutet, dass uns der unterste Gewölbekeller
interessiert.«
Frau
Harscher unterbrach ihn: »Es geht um einen Mord, haben Sie gesagt. Aber das hat
doch nichts mit unserem Haus zu tun?«
»Nein,
ganz bestimmt nicht«, beruhigte Linkohr. »Wir gehen nur einem Gerücht nach.«
»Sie
haben’s angedeutet – die Sache mit der eingemauerten Maschine«, unterbrach ihn
Harscher. Er strich sich übers unrasierte Gesicht, das von tiefen Falten
durchzogen war. »Eine Geschichte, die sich hartnäckig hält.« Er trank einen
Schluck Rotwein.
»Seit
über 65 Jahren schon«, ergänzte Frau Harscher. »Wir waren damals 17, müssen Sie
wissen.«
»Das
können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen, junger Mann«, fuhr Harscher
fort. »17 Jahre alt, ein junges Leben, das bis dahin nur aus Not und Krieg
bestanden hat. Der Vater an der Front gefallen, die Mutter mit mir und den zwei
Geschwistern allein.«
»Wir
beide, Andreas und ich, waren Nachbarskinder und haben uns in diesen Monaten
nach dem Krieg in der Weinhandlung von diesem Mollenkopf nützlich gemacht«,
sagte Frau Harscher und lächelte ihren Mann liebevoll von der Seite an. »Und
acht Jahre später haben wir die Weinhandlung übernommen – und
hatten das Glück, dass uns das sogenannte Wirtschaftswunder eine große Nachfrage
nach guten Weinen beschert hat.«
Linkohr
befürchtete, dass das Gespräch wieder eine Wende nahm, die viel Zeit und
Geduld, vor allem aber auch Einfühlungsvermögen erforderte. »Aber während des
Krieges wurden die Gewölbekeller auch als Bunker genutzt«, versuchte er, wieder
zur Sache zu kommen.
»Notgedrungen,
junger Mann«, erklärte Harscher. »Dort, in dieser Gegend, wo die Bahnhofstraße
steil abwärts führt, gab es praktisch keine Luftschutzkeller. Was hätte man
auch machen sollen, wenn bei einem Fliegeralarm die Sirenen heulten, und die
Nachbarn dort unten Zuflucht gesucht haben? Man konnte sie ja nicht abweisen.
Auch wir sind damals in das Geschäft gestürmt und runter in diese Keller, die
sich mehrgeschossig in den Berg reinziehen.«
»Bunker
waren das keine«, erklärte seine Frau. »Bei einem Volltreffer wäre das ganze
Haus zerstört worden. Aber zum Glück wurde Geislingen weitgehend verschont – trotz
der WMF, die damals wohl weniger Bestecke als vielmehr Rüstungsgüter produziert
hat.«
»Sie
kennen das Gerücht«, blieb Linkohr am Thema dran, »da soll in den letzten
Kriegstagen etwas eingemauert worden sein.«
Harscher nickte und trank wieder. »Dass jetzt, mit dem
Abstand von über 65 Jahren, erstmals offen darüber gesprochen wird, zeigt doch,
dass man langsam anfängt, ein unverkrampftes Verhältnis zur Zeitgeschichte zu
kriegen.«
»Leider wird es aber immer schwieriger, Dichtung und
Wahrheit strikt auseinanderzuhalten«, gab seine Frau zu bedenken.
»Ich persönlich glaube nicht, dass da etwas eingemauert
wurde«, erklärte Harscher im Brustton der Überzeugung. »Das wäre uns damals
aufgefallen. Klar, in den Nachkriegswochen sind wir vermutlich nie ganz
runtergekommen. Aber auch noch drei, vier Monate später wäre uns da etwas
aufgefallen.«
»Aber es sieht doch so aus, als sei eine Steinreihe
dieser Mauer neu verfugt worden«, warf Linkohr ein.
»Ich weiß, was Sie meinen, Herr Linkohr«, erwiderte
Harscher, »das sieht so aus. In der Tat. Aber ich glaube, das hat auch schon
vor dem Krieg so ausgesehen.«
»Sie
waren nie neugierig und haben ein paar Steine rausgestemmt?«, wollte Linkohr
wissen.
Harscher
grinste. »Nie, nein. Warum auch? Wenn da ein paar Gewehre drin gewesen wären,
hätte mir das nur Ärger eingebracht. Oder – was
auch schon behauptet wurde – es seien Nazi-Akten oder
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