Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Unfall in
beiden Richtungen gesperrt war, damit etwaige Schleuderspuren sichergestellt
und der Aufprallwinkel gegen das Geländer berechnet werden konnte.
»Wer
mir großen Kummer bereitet, August«, sagte Grantner nachdenklich, »das ist
diese Dame mit dem Doppelnamen. Sie scheint spurlos verschwunden zu sein.«
»Die
Dobler-Maifeld«, ergänzte Häberle, während er zu den Überresten des in Tausende
von Einzelteilen zerborstenen Wohnwagens sah. »Und vergiss unsere Professorin
nicht. Vielleicht ist sie uns ja schon einige Male über den Weg gelaufen – und
wir haben’s gar nicht gemerkt.«
»Oder
wir finden s’ als Leiche irgendwo.«
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Das Navigationsgerät hatte
Linkohr zielgenau zu dem chinesischen Restaurant in der Reutestraße in Bad
Waldsee geführt. Während der knapp zweistündigen Fahrt war Nena ziemlich
aufgeregt gewesen, schließlich sollte sie eine Rolle spielen, die sie
eigentlich als Realität empfinden wollte – nämlich Linkohrs Geliebte zu sein. Der junge Kriminalist jedoch wich seit
seinen heißen Erlebnissen aus der Samstagnacht geschickt der Frage nach seinen
persönlichen Zukunftsvorstellungen aus. Einerseits entsprach Nena so ziemlich
genau seinen Träumen – sie war sowohl sinnlich als auch erotisch – andererseits jedoch hatte ihn die hilflose Lage, in die sie ihn gebracht hatte,
doch einigermaßen erschreckt. Seither fühlte er sich innerlich aufgewühlt und
wieder einmal einem ungeheuren Wechselbad von Stimmungen ausgesetzt. Er
versuchte aber, sich nichts davon anmerken zu lassen. Allerdings würde er diese
Verzögerungstaktik nicht mehr lang durchhalten können, denn Nena war darauf
erpicht, den 21. Dezember an einer Mayastätte zu verbringen. »Wenn schon die
Welt untergeht«, hatte sie gleich hinter Ulm gesagt, »dann geh’n wir beide
gemeinsam dort unter, wo dies angekündigt wurde.«
Linkohr
war einsilbig geblieben. Er mochte jetzt keine Reisepläne schmieden – auch
wenn ihm Nena als Reiseverkehrskauffrau ein Schnäppchenangebot offerieren
wollte. Vermutlich würde aber auch dieses seinen schmalen Etat bei Weitem
übersteigen.
Gerade
als er seinen Polo in einer Seitengasse parkte, meldete sich sein Handy. Er
stellte den Motor ab und sah auf dem Display des Geräts, dass es Häberle war.
Bereits am Klang von dessen Stimme bemerkte er, dass es kein ungezwungenes
Geplauder werden würde. »Keine gute Nachricht«, begann der Chef sofort und
berichtete von dem Tod des Ehepaars Fischer. »Ich brauch unbedingt diesen
Kfz-Sachverständigen. Sie wissen schon, wen ich meine«, kam er sofort auf sein
Anliegen zu sprechen. »Wenn’s geht, soll der sich morgen früh gleich auf den
Weg hierher machen – oder zumindest einen kompetenten Mitarbeiter schicken.«
»Sie
vermuten, dass am Auto manipuliert wurde?«, fragte Linkohr zurück, doch Häberle
schien in Eile zu sein, sodass keine Antwort, sondern eine weitere Frage
folgte: »Sind Sie eigentlich schon in Waldsee?«
»Gerade
eingetroffen. Wir steh’n vor dem Lokal.«
»Wir?
Sind Sie in Begleitung?«
Erst
jetzt wurde Linkohr bewusst, dass er dem Chefermittler gar nichts von Nena
erzählt hatte. Aber die Idee, sie mitzunehmen, war schließlich von Häberle
gekommen.
»Ich
bin in weiblicher Begleitung«, erklärte er forsch. »Sie sagten doch, ich soll
konspirativ vorgehen.«
Häberle
entfuhr etwas, das wie ein kurzes Lachen zu deuten war. »Seien Sie vorsichtig,
Herr Kollege«, sagte er, um sogleich anzufügen: »Es kann natürlich sein, dass
das Ganze ein Flop ist. Wenn diese Karin Waghäusl einfach nur ein Date hatte,
ist es nach ihrem Tod natürlich geplatzt. Aber ich denke, die Waghäusl war
clever genug, nichts ohne ihre Schwägerin, die Frau Professor, einzufädeln – zumal
ihr Ex-Mann dort seine familiären Wurzeln hat.«
Linkohr
hatte Mühe, den Ausführungen des Chefs zu folgen, weil sich Nena provokant in
den Beifahrersitz rekelte und über die Schenkelpartien ihrer hautengen
Lederhose strich. Natürlich war auch ihm in den vergangenen Tagen mehrmals die
Frage durch den Kopf gegangen, ob die Fahrt nach Bad Waldsee Sinn machte. Sein
Interesse galt eher diesem Weinkeller, der vermutlich ein Geheimnis barg, an
dem mehrere Seiten aus unterschiedlicher Motivlage interessiert waren.
»Es
könnte sein«, hörte er Häberles sonore Stimme wieder, »dass Sie eine große
Überraschung erleben. Halten Sie mich heut Nacht auf dem Laufenden.« Häberle
beendete das Gespräch ungewöhnlich schnell.
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Grantner und
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