Gray Kiss (German Edition)
kippte Cassandra zur Seite.
Ich drehte mich überrascht zu dem Gray um. „Was hast du …“
Er grinste mich an. „Beeindruckt?“
Ich rannte zu Cassandra. Auf dem Weg schnappte ich mir ein Stück Holz, das auf der Straße lag, und hielt es zur Verteidigung vor mich.
Der Gray betrachtete mich vorsichtig. „Was hast du denn damit vor?“
„Mich gegen einen Killer verteidigen“, antwortete ich mit zitternder Stimme.
Er lachte. „Im Ernst? Du bist eine von uns, falls du es noch nicht mitgekriegt hast. Ich habe dich letzte Woche mit Stephen im Crave gesehen.“
Plötzlich erkannte ich ihn. Er war einer der Handlanger meiner Tante Natalie und hing immer im Club rum. Er war einer der Grays gewesen, die Bishop in Schach gehalten hatten, während Natalie ihn folterte.
Angst und Hass loderten in mir auf.
„Du sollst keine Seelen aufsaugen!“ Ich hielt das scharfkantige Holz vor mich wie eine Vampirjägerin. Eigentlich wollte ich nachschauen, ob mit Cassandra alles in Ordnung war, allerdings konnte ich dieser Kreatur keine Sekunde den Rücken zuwenden.
„Habe ich auch lange nicht. Ich habe versucht, nach den Regeln zu spielen.“
„Wieso bist du so stark? Grays sind nicht stärker als Menschen. Was bist du?“
Er sah mich an, ohne auch nur im Geringsten von meiner improvisierten Waffe beeindruckt zu sein. „Du weißt doch, wie das mit den hübschen Schmetterlingen und den hässlichen Raupen ist?“
Mein Herz klopfte so laut, dass ich fast nichts anderes mehr hörte. „Sind wir hier im Biologieunterricht?“
Der Typ zuckte mit den Schultern. „Du musst mich begleiten. Wir können Freunde sein.“
„Ich will nicht noch mehr Freunde haben. Keine wie dich jedenfalls.“ Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz. „Wo ist Stephen? Ich muss ihn finden.“
Er verzog den Mund zu einem breiten Grinsen und zeigte mir seine weißen Zähne. „Komm mit, und wir unterhalten uns ein bisschen.“
Mist. Es war wirklich ein verlockendes Angebot, allerdings war mir klar, dass ich ihm nicht trauen konnte.
„Keine Chance. Sag mir einfach, wo er ist.“
„Nein. Nicht, wenn du dich mit Leuten wie ihr abgibst.“ Er musterte Cassandra geringschätzig.
Ich schluckte und warf einen kurzen, besorgten Blick auf den Engel. „Warum bist du anders als andere Grays?“
„Bin ich das?“ Wieder grinste er mich an, mit der typischen Überheblichkeit dessen, der mehr weiß als sein Gegenüber. Er verriet es mir nicht.
Selbst aus dieser Entfernung spürte ich, wie sich seine fiese, dunkle Aura auf mich legte wie zäher Schleim. Es interessierte ihn keine Spur, dass ein paar Meter neben ihm ein totes Mädchen lag.
Vielleicht war er einer dieser Zombie-Grays. Aber er besaß doch noch seinen Verstand - das war eigentlich gar nicht möglich.
Jedenfalls stimmte mit diesem Typen irgendwas nicht. Er war böse. Heimtückisch. Er konnte Gut von Böse unterscheiden und trotzdem hatte er getötet. Er hätte seinen Hunger kontrollieren können, dennoch tat er es nicht.
Als er nun einen Schritt auf mich zu machte, wich ich zitternd nach hinten aus. Ich sah Cassandra an. Leider bewegte sie sich immer noch nicht.
„Du musst dich mit Leuten zusammenschließen, die dich verstehen“, beschwor er mich. „Du darfst bei diesem Tauziehen der Mächte nicht auf die falsche Seite geraten.“
„Wie viele gibt es noch?“, fragte ich mit erstickter Stimme. „Wie viele Grays?“
„Hast du die Plakate gesehen? Sie nennen uns den ‚küssenden Mob‘. Eine Gang, die wahllos Fremde küsst. Sie haben keine Ahnung, wozu wir wirklich in der Lage sind. Wer wir wirklich sind.“
Ich kannte diese Plakate. Ich hatte im Trinity Chronicle auf Seite fünfzehn darüber gelesen. Niemand erkannte die wahre Bedrohung. Niemand begriff, dass zwischen den Dutzenden von Vermissten und Toten der letzten Wochen ein Zusammenhang bestand. Es war mysteriös. Die Leichen wiesen keinerlei Verletzungen auf, abgesehen von seltsamen schwarzen Linien rund um den Mund. Überlebte das Opfer nicht, verschwanden die Linien auch nicht.
„Gib mir das, bevor du jemandem wehtust.“ Er war so ruhig, dass man ausrasten konnte.
Er streckte den Arm aus, um mir das Stück Holz wegzunehmen, doch ich holte aus und schlitzte ihm damit den Arm auf.
„Du Miststück!“
Bei seinem zweiten Versuch riss ich ihm die Handfläche auf. Blut tropfte auf den Boden. Ich sah ihm an, dass er Schmerzen hatte.
Dann schlug er mir so hart ins Gesicht, dass mir meine improvisierte Waffe aus der
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