Gray Kiss (German Edition)
unschuldiges Kind.“
Ich versuchte, ihn zu treten, aber sein Griff um meinen Hals wurde fester. Und um Jordans Hals wohl auch, denn sie gab einen heiseren Schrei von sich.
„Tu ihr nichts“, murmelte ich.
Er lockerte seinen Griff nicht im Geringsten. „Du willst meinen Plan wissen? Gut, dann pass auf. Ich werde euch beide jetzt eine Weile allein lassen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wirst du dich nicht mehr beherrschen können, Samantha. Dann wirst du dir Jordans Seele aneignen, und zwar komplett.“
„Was?“ Bei der Vorstellung kriegte ich einen Kloß im Hals.
Er grinste noch breiter. „Würde ich das selbst erledigen, müsste sie sterben. Aber ich möchte ja, dass sie am Leben bleibt. Ich möchte, dass sie … besser wird. Wenn du die Stase überlebst, gibt es für euch beide Platz an meiner Seite. In der neuen Welt.“
Dann ließ er uns beide los und marschierte zur Tür. „Bis später.“
Damit verschwand er.
Ich kroch in die am weitesten von Jordan entfernte Ecke des Zimmers - was leider immer noch nicht reichte. Mir schwirrte der Kopf.
Erst dachte ich, Jordan würde weinen, aber sowie sie die Hände vom Gesicht zog, war sie rasend vor Wut.
„Du erklärst mir jetzt auf der Stelle, was hier los ist!“, schrie sie mich an.
Ich versuchte, so flach wie möglich zu atmen, damit ich ihren Atem nicht wahrnehmen musste. „Was genau hast du nicht verstanden?“
„Alles!“
Ich betrachtete sie kurz, ihre zornige Miene, die Funken sprühenden Augen. „Ich glaube, du verstehst mehr, als du dir eingestehen willst.“
„Aber was hat das alles mit Julies Selbstmord zu tun?“
„Ganz ehrlich?“ Ich überlegte. „Direkt gar nichts. Allerdings müssen alle bizarren Ereignisse in dieser Stadt zusammenhängen.“
Wenn Connor mit seiner Theorie über den neuen Dämon in der Stadt richtiglag, waren alle diese sonderbaren Dinge mit dem Schwarz verknüpft und damit, dass es eine Art Drehtür geworden war und nicht mehr länger nur die Müllhalde für Himmel und Hölle darstellte. Es litt sozusagen seit Neuestem unter Bulimie und gab wieder von sich, was es zu sich genommen hatte.
Jordan fuhr sich mit zitternder Hand durch ihre roten Haare. „Ich habe schon ernsthaft an meinem Verstand gezweifelt, aber anscheinend ist alles wahr. Stephen ist ein Monster. Und du … du bist auch ein Monster. Oder er hat er gelogen?“
Mühsam schluckte ich. „Kommt auf die Definition von Monster an, würde ich sagen.“
Sie warf mir einen wütenden Blick zu. „Du bist eines dieser Dinger, die mit einem Kuss Seelen stehlen können.“
Mir wurde schwer ums Herz. „Leider ja.“
„Und Stephen ist derjenige, der dich dazu gemacht hat.“
„Ja.“
Sie holte tief Luft. „Dich hat er geküsst, doch mich will er nicht küssen.“
Ich sah sie entgeistert an. „Darüber solltest du dich freuen. Glaub es mir, du willst nicht so sein. Es ist schrecklich! Dieser Hunger, das ist das Schlimmste, was mir je passiert ist!“
Ich hatte bereits dreimal meine Selbstbeherrschung verloren. Es durfte nicht noch mal so weit kommen - beim nächsten Mal war alles verloren.
Sie zögerte. „Aber du bist noch etwas anderes. Deine Eltern …“
„Meine leiblichen Eltern, meinst du.“ Ich biss auf meiner Unterlippe herum. Da sie es ohnehin schon wusste, konnte ich es auch zugeben. „Ich habe selbst erst vor Kurzem von meiner wahren Herkunft erfahren.“
„Was heißt das?“
„Das heißt nur, dass ich jetzt noch verwirrter bin, was meine Identität betrifft, als vorher.“
Sie begann, in kleinen Schritten auf und ab zu gehen, die Arme vor der Brust verschränkt. „Ist das nicht mehr wert als dieses Gray-Sein? Besitzt du nicht eine Kraft, mit der du irgendwie Hilfe holen kannst?“
Ich wünschte wirklich, es wäre so einfach. „Was ich außerdem bin, hat nichts damit zu tun. Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Sache mit meinen leiblichen Eltern macht es mir im Leben nicht leichter.“
Jordans Haut war jetzt schneeweiß. „Und jetzt will Stephen mich verwandeln.“
Ich zog die Knie an die Brust und begann, mich hin und her zu wiegen. Ich dachte daran, wie ich Colin in der Pausenhalle geküsst hatte. Da hatte ich mich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Es war ganz klar - mit mir würde dasselbe geschehen wie mit Stephen. Und zwar schon bald. Oder ich würde tot umfallen wie neulich die Frau auf der Straße, die sich vor meinen Augen auflöste.
„Ich weiß nicht, wie ich lange ich mich noch
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