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Grazie

Grazie

Titel: Grazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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verlegt?«
    »Ja«, sagte Henry.
    »Dann gibt es nichts zu reden«, sagte Archie. Bevor Henry
etwas erwidern konnte, läutete Archies Handy. Er zog es aus der Tasche,
klappte es auf und hielt es ans Ohr.
    »Ich bin's«, hörte er Susan Ward sagen. »Ich weiß, wer Ihre
unbekannte Tote ist.«

_18_
    D as städtische Leichenschauhaus von Portland
befand sich in einem beige verputzten Gebäude im Norden der Stadt. Die
Wände im Innern waren beige. Das Linoleum war beige. Die sterilen
Papierkittel, die Susan und Archie tragen mussten, waren beige. Der
Raum, in dem die Autopsien durchgeführt wurden, lag im Keller. Alle
Leichenschauhäuser waren im Keller untergebracht. Wenn man dem
Fernsehen glauben durfte. Es gab eine Reihe fahrbarer Tragen aus Stahl,
eine Menge Waagen und teuflisch aussehende Behälter, sowie vier große
Abflussrinnen, damit man den Raum mit einem Schlauch vom Blut reinigen
konnte, wenn die Arbeit getan war. In etwa drei Metern Höhe ließen
Milchglasfenster ein seltsam kühles weißes Licht einfallen, und
irgendwer hatte eine große Menge Zimmerpflanzen auf einen Sims unter
den Fenstern gestellt. Grünlilien, Gummibäume. Farne.
    »Hier riecht es nach Nagellackentferner«, sagte Susan.
    »Wollen Sie mir nicht verraten, wer die Tote Ihrer Ansicht
nach ist?«, fragte Archie.
    Susan hatte sich auf dem Parkplatz des Leichenschauhauses mit
ihm verabredet. Er war bereits da und wartete, als sie mit fünfzehn
Minuten Verspätung ankam, was für Susans Verhältnisse früh war. Sie sah
Henry nicht.
    »Ich will mir erst sicher sein.«
    Die Leiche lag unter einer schwarzen Plastikplane, etwas in
der Art, das man über einen Stapel Holz im Freien werfen würde. Eine
Mitarbeiterin des Leichenschauhauses hatte sie gerade hereingerollt.
Unter ihrem sterilen, beigen Kittel trug die Frau Cordhose,
Rollkragenpulli und Wollsocken, obwohl Sommer war. Wahrscheinlich war
es hier unten immer kalt. Archie nickte ihr zu, und sie öffnete den
Reißverschluss des Leichensacks und schlug die Plastikplane zurück.
    Die tote Frau hatte kein Gesicht mehr. Archie hatte Susan
davor gewarnt, aber sie war trotzdem nicht darauf vorbereitet. Der
Unterkiefer der Toten hing herunter, sodass der lippenlose Mund leicht
offen stand, die geschwärzte Zunge lag darin wie eine angeschlagene
Frucht. Die Reste des geronnenen Bluts an ihren Wangenknochen und in
den Augenhöhlen sahen aus wie Traubengelee. Wie es Leichenbeschauer
fertig brachten, überhaupt noch zu essen, war Susan ein Rätsel.
    Sie merkte plötzlich, dass sie Archies Handgelenk umklammerte.
Ihr Puls raste, und sie spürte einen Kloß in der Kehle. Doch sie zwang
sich hinzuschauen. Nach einem Hinweis zu suchen, nach etwas, das ihr
bekannt vorkam.
    Und dann sah sie es.
    »O mein Gott«, sagte sie.
    Sie fühlte, wie Archie das Handgelenk löste, dann schloss sich
seine Hand um ihre, und ihre Finger verschränkten sich.
    »Sagen Sie es mir«, forderte er sie auf.
    Susan weinte nicht. Nicht richtig. Es waren nur Tränen. Sie
liefen ihr über die Wange und weiter auf den schwarzen peruanischen
Strickpullover ihrer Mutter. Ihr Hals fühlte sich kalt an, wo die
Tränen ihre salzige Spur hinterließen. Sie fröstelte. Es war nicht ihre
Schuld, sagte sie sich. Parker. Der Senator. Nichts davon. Es war eine
Story. Sie war Reporterin. Die Öffentlichkeit hatte ein Recht, Bescheid
zu wissen.
    »Es ist Molly Palmer«, sagte sie.

_19_
    A rchie starrte auf die Leiche vor ihm. »Sie
meinen, das ist Ihre Quelle für den Artikel über Lodge?«, sagte er.
»Sie wollen sagen, die Frau, die wir am Abend, bevor Lodge von einer
Brücke fuhr, tot gefunden haben, war dieselbe, die im Begriff war,
öffentlich Schande über ihn zu bringen?«
    Susan nickte.
    Archie schaute in das verunstaltete Gesicht der Frau, auf ihre
marmorierte, aufgedunsene Haut. »Woran sehen Sie das?«, fragte er.
    Susan hob die Hand und zupfte an einer türkisfarbenen
Haarsträhne. »Ich habe gestern Abend endlich ihre Mitbewohnerin ans
Telefon bekommen. Sie sagte, Molly habe sich einfach aus dem Staub
gemacht, sie hat eine Nachricht hinterlassen und war weg. Aber erst hat
sie noch ihr Haar gefärbt. Sie hat als Stripperin gearbeitet. Und
Blondinen kriegen mehr Geld zugesteckt. Doch sie hörte auf damit.«
Susan ließ ihre Haarsträhne los, aber sie blieb aufgerollt, so wie sie
sie um den Finger gewickelt hatte. »Deshalb hat sie sich das Haar rot
gefärbt. Es nennt sich Cinnamon Glow. Ihre Mitbewohnerin hat die
Packung im Abfalleimer

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