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Grazie

Grazie

Titel: Grazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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loszukichern, er war so stark,
dass sie sich kaum traute, ihn anzusehen. Es war peinlich genug, in dem
Raum zu sein, in dem er schlief. Aber sie zwang sich, die Augen zu
heben, und er sah sie so zärtlich an, dass sie einen Moment lang
tatsächlich glaubte, er könnte sich vorbeugen und sie küssen.
Stattdessen sagte er: »Ich muss alle Ihre Aufzeichnungen über die
Lodge-Geschichte sehen.«
    Sie lachte. Sie konnte nicht anders. In ihren Augen brannten
Tränen. Ihr Gesicht glühte.
    »Archie«, sagte sie.
    »Susan«, sagte er. Er verstärkte den Griff um ihre Hand. »Sie
wollen nichts mit mir anfangen.« Wie um seinen Standpunkt zu beweisen,
drehte er den Rahmen auf dem Schreibtisch um. Das Bild, das er jeden
Tag auf seinem Schreibtisch ansah, war keins von seiner Familie. Kein
Weihnachtsbaum, kein Farmzaun. Es war das Schulfoto eines jungen
Mädchens. Susan erkannte es. Sie hatte das Bild oft genug gesehen. Es
war das erste Opfer Gretchens. Heather Gerber.
    »Nun?«, sagte Archie.
    Susan bemerkte etwas vor dem Fenster und erstarrte.
    »Was ist?«, fragte Archie.
    Im Garten waren Polizisten. Der Raum hatte zwei Fenster, und
die beigefarbenen Vorhänge waren halb zugezogen, aber Susan konnte ganz
deutlich sehen, dass Polizisten im Garten waren. Streifenwagen standen
auf der Straße, ihre Lichter waren an, die Sirenen aus. Die Polizisten
bewegten sich auf das Haus zu. Archie drehte sich in seinem Sessel um,
um zu sehen, worauf sie starrte, dann stand er auf.
    »Was geht hier vor?« fragte sie ihn.
    Es läutete an der Tür. Oder vielmehr war es, als würde sich
jemand auf die Klingel stützen, sodass sie wieder und wieder losging,
ein hektisches, hartnäckiges Gebimmel, gefolgt vom Geräusch einer
Faust, die an die Tür schlug.
    Archie griff in seine Jacke, wo sein Handy läutete, wie Susan
erst begriff, als er es herauszog. Er hielt es sich ans Ohr, während er
den Raum in Richtung Flur durchquerte. Susan saß immer noch halb auf
dem Schreibtisch.
    »Rühren Sie sich nicht vom Fleck«, sagte er.
    »Keine Angst«, antwortete Susan.
    Sie hörte, wie die Haustür aufging und schwere Schritte ins
Haus stürmten. Sie schaute wieder aus dem Fenster, und da stand ein
uniformierter Polizist direkt hinter der Scheibe und winkte. Susan
drehte sich wieder zur Tür um, und genau in diesem Moment stürmte Henry
mit dunkelrotem Kopf ins Zimmer, das Handy am Ohr, die Waffe in der
Hand. Vier uniformierte Beamte folgten ihm auf den Fuß.
    »Was soll das, verdammt?«, sagte Archie.
    Henrys Gesicht glänzte vor Schweiß. Er steckte seine Waffe
nicht weg. »Gretchen Lowell ist vor einer halben Stunde entkommen«,
sagte er. »Sie wurde zuletzt etwa zehn Meilen entfernt von hier
gesehen.«
    Archie hustete, dann beugte er sich vor und übergab sich auf
den cremefarbenen Teppich.

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    D urchsucht das Haus«, bellte Henry. »Den
Garten. Alles.« Archie hörte, wie sich Leute durchs Haus bewegten.
Türen wurden geöffnet. Zimmer für durchsucht erklärt. Das alles
passierte nicht wirklich. Der saure Geschmack von Erbrochenem in seinem
Mund führte dazu, dass sich ihm der Magen erneut umdrehte. Sie wusste,
wo er wohnte. Sie hatten das Haus während seiner Gefangenschaft
verdammt noch mal oft genug in den Nachrichten gezeigt. Sie konnte ihn
finden. Himmel, er hätte wegbleiben sollen. Er spürte eine Hand auf der
Schulter, zuckte erschrocken zusammen und öffnete die Augen. Es war
Claire. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass sie gekommen war.
    Ihr Gesichtsausdruck war ruhig, beherrscht, aber ihre Augen
huschten hin und her und nahmen jedes Detail im Zimmer wahr. Er sah,
wie sie das Schlafsofa bemerkte, Parkers Kartons über den
Beauty-Killer-Fall, die makabre Collage von Gretchens Opfern im
Schrank. Sie hatte ihre Dienstwaffe in der Hand. Es war eine große,
präzise Waffe, und Claire richtete sie auf den Teppich, aber ihr Arm
war gestreckt, mit einer leichten Beuge im Ellenbogen, sodass sie
sofort feuern konnte, falls es sein musste. »Wir finden sie«, sagte sie.
    Archie wandte sich ab. Susan erschien mit einem Handtuch aus
dem Gäste-WC in der Tür. Sie durchquerte mit rosa leuchtendem Gesicht
das Zimmer, kniete nieder und fing an, den Fleck vom Erbrochenen auf
dem Boden aufzuwischen.
    »Lassen Sie es«, sagte Archie. »Das macht nichts.«
    Aber Susan presste weiter das graue Handtuch in den Teppich.
Ihre Hände zitterten. »Schon in Ordnung«, sagte sie. Er sah, wie sie im
Zimmer umherblickte, die vielen Waffen, die Hektik der Polizisten

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