Gregor und der Fluch des Unterlandes
gesagt hatte, sie sollten die Mäuse nicht anfassen, lief Luxa zu dem Mäuserich, hockte sich neben ihn und streichelte ihm übers Fell. Er konnte nicht sprechen.
»Komm, wir bringen ihn zu Howard«, sagte Gregor. Zusammen mit Luxa hob er ihn auf Ares’ Rücken. Gregor schwang ein Bein über den Nacken der Fledermaus, aber Luxa blieb unten. »Kommt ihr nicht mit?«, fragte er.
»Nein, Gregor. Wir bleiben, um sicherzustellen, dass es nicht noch mehr Huscher gibt, die noch Licht haben.« Im Unterland wurde das Wort »Licht« oft stellvertretend für »Leben« gebraucht.
Gregor sah die Opfer an. »Wir kommen zurück und helfen euch«, sagte er.
»Das ist nicht nötig«, sagte Luxa. »Aurora und ich schaffen das schon.«
»Wir kommen zurück«, sagte Ares.
Gregor und Ares brachten der Mäuserich, der kaum bei Bewusstsein war, zu Howard und flogen dann zurück zum Fuß der Klippe. Sie untersuchten jedes einzelne Tier. Einige waren eindeutig tot. Bei manchen war es schwer zu sagen, also fühlten sie nach dem Puls oder nach dem Atem. Doch es gab keine weiteren Überlebenden.
Als sie wieder am Rastplatz angelangt waren, schrubbte Gregor sich am Fluss, aber er hatte das Gefühl, dass er den Geruch der toten Mäuse nicht aus den Poren bekam. Und was er dort gesehen hatte … Er wusste, dass die Bilder ihn noch lange in seinen Träumen verfolgen würden.
Howard kümmerte sich um den Verletzten. Er hatte ein Vorderbein gebrochen, und Howard schiente den Bruch. Die rauen, blutigen Pfoten behandelte er mit einer Salbe. Etwa eine Stunde lang flößte Howard ihm immer wieder löffelweise Wasser ein, dann bereitete er einen dünnen Brei aus Fisch, Brotkrumen und Brühe und gab ihm ein wenig zu essen. Das Wasser und das Essen gaben ihm immerhin so viel Kraft, dass er ein paar Worte sagen konnte. Als Erstes verriet er ihnen seinen Namen, Cartesian. Howard konnte Cartesians Verletzungen jetzt besser einschätzen. Er hatte schlimme Prellungen an den Rippen, doch sie schienennicht gebrochen zu sein. Außerdem hatte er einen Schlag am Kopf abbekommen. Hunger und Durst hatten ein Übriges getan. Howard konnte nicht genau feststellen, was Cartesian zugestoßen war, aber er konnte ihn wenigstens behandeln. Er machte ihm einen Verband um den Kopf, gab ihm ein Schmerzmittel und eine Arznei gegen die Schwellungen und fütterte ihn.
Boots wollte unbedingt helfen, deshalb übertrug Howard ihr die Aufgabe, Cartesian in den Schlaf zu singen. Sie hockte sich ein paar Schritte entfernt hin und sang ein paar Liedchen, die sie von zu Hause kannte. Es waren vor allem die Titelmelodien der Kindersendungen, die sie immer im Fernsehen sah. Dann wechselte sie zu ihrem Unterland-Repertoire und sang unter anderem die Lieder über die Spinner, die Fische und die Fledermäuse.
Fledermaus
Komm nach Haus
Ich geb dir ein Stück Schinken
Camembert zum Dessert
Und dann noch was zu trinken .
Danach sang sie eine Strophe aus dem Lied über die Königin und die Huscher und den Tee, weil sie dachte, dass ein Lied über die Mäuse Cartesian bestimmt gefallen würde.
Fangt die Huscher in dem Loch
Seht sie blitzschnell wirbeln noch
Dann ganz still, sie schlafen doch .
Vater, Mutter, Schwester, Bruder
Fort. Und wer weiss, ob wir uns sehen
An einem anderen Ort .
Langsam döste Cartesian ein, und Howard lobte Boots für ihren wunderbaren Schlafgesang. Boots war von ihrem neu entdeckten Talent so begeistert, dass sie der Reihe nach zu allen ging, um sie in den Schlaf zu singen. Die einen waren so müde, dass sie tatsächlich einschliefen, die anderen taten so, als ob, bis Boots selbst eingeschlafen war. Dann versammelten sich Gregor, Luxa, Howard, Aurora, Nike und Ares, um sich im Schein von Photos Glimm-Glimms Licht zu beraten.
»So tragisch die Entdeckungen des heutigen Tages auch sind, so wissen wir nun wenigstens, dass wir der richtigen Spur gefolgt sind«, sagte Howard.
»Das war kein großes Kunststück«, sagte Luxa. »Wir wählten diesen Weg, weil er der einzige ist, der hinausführt. Bis wir den Gang des Hades verlassen, können wir gewiss sein, dass wir der richtigen Spur folgen.«
»Und dann?«, fragte Gregor.
»Was ›und dann‹?«, sagte Luxa.
»Und dann wirst du ihr weiter folgen, oder? Anstatt nach Regalia zurückzufliegen«, sagte Gregor. Sie antwortete nicht, aber er wusste, dass er recht hatte. Sie würde nichtnach Hause zurückkehren. Nicht, nachdem sie sich auf den Boden gekniet und den Eid über der Krone geleistet
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