Gregor und der Spiegel der Wahrheit
in Ordnung.«
»Komm, wir beginnen mit der Ernte«, sagte Hamnet.
Anfangs pflückten sie alle gemeinsam Sternschatten auf dem Feld, doch schon bald zeigte sich, dass es am besten war, wenn die Menschen die Garben mit dem Klebeband zusammenbanden. Die anderen kamen dafür nicht infrage, weil sie keine Hände hatten. Boots und Hazard waren beim Binden auch keine große Hilfe, also gingen sie wieder aufs Feld und halfen bei der Ernte. Jedenfalls Hazard, während Boots das Abc-Lied sang. Dann sang sie »Dreht euch um und um und um« und vollführte dabei ihren Tanz, bis sie vor Schwindel umfiel. Hin und wieder steuerte sie auch ein paar Blätter bei. Aurora und Nike, die mit ihren Verletzungen auch nur begrenzt einsetzbar waren, passten auf, dass Boots das Feld nicht verließ. Als sie sich wieder zu sehr für den Dschungel zu interessieren begann, wühlte Gregor in seinem Rucksack und holte ihren Ball und den Kreisel heraus, den Dulcet für sie eingepackt hatte. Er gab ihr auch den Handspiegel, den er von Nerissa hatte – Boots hatte Spaß daran, sich selbst Grimassen zu schneiden.
Schließlich arbeitete Gregor vor allem mit Luxa zusammen, sie schnitten das Klebeband in Streifen und umwickelten damit die Garben. Hamnet sammelte sie ein und begann sie zu einer Art Heuhaufen aufzuschichten. Als er außer Hörweite war, sagte Gregor zu Luxa: »Das war ja eine heftige Geschichte, die Ripred uns da von Hamnet erzählt hat.«
»Ja, sie erklärt zu einem großen Teil, warum er fortging«, sagte Luxa. »Er war wahnsinnig. Doch sie erklärt nicht, warum er nicht nach Regalia zurückkehrte, nachdem er den Verstand wiedergefunden hatte.«
»Weil sie ihn wieder gezwungen hätten, zu kämpfen, Luxa«, sagte Gregor. »Und er konnte es nicht mehr ertragen, zu töten.«
»Niemandem von uns bereitet es große Freude, zu töten«, sagte Luxa. »Wir tun es, um zu überleben.«
»Und was willst du damit sagen? Hältst du ihn für einen Feigling?«, sagte Gregor.
»Nicht für einen Feigling, der den Tod fürchtet. Doch ich glaube, es ist einfacher für ihn, hier im Dschungel zu leben, als zurückzukehren und sich seinem wahren Leben zu stellen«, sagte Luxa.
Gregor dachte darüber nach. Zunächst einmal war das Leben im Dschungel kein Zuckerschlecken. Und Hamnet hatte all seine Lieben zurückgelassen. Als er fortging, konnte er nicht wissen, dass er eine Frau aus dem Überland kennenlernen und mit ihr einen Sohn bekommen würde. Wahrscheinlich hatte er noch nicht mal damit gerechnet, dass er überleben würde. Er hatte alles aufgegeben, sein Zuhause, die Menschen, die er gernhatte, sein ganzes Leben, weil er so fest davon überzeugt war, dass er falsch gehandelt hatte.
»Ich weiß nicht, Luxa. Ich glaube, er hat eine ziemlich mutige Entscheidung getroffen. Und ich glaube, er hatte gar keine Wahl«, sagte Gregor.
»Vielleicht. Ich weiß es nicht.« Luxa schüttelte den Kopf. »Doch hättest du deine Familie verlassen, Gregor?«
»Das kann man nicht vergleichen. In meiner Familie ist sogar Schlagen tabu«, sagte Gregor. »Deine Familie befindet sich ständig im Krieg.«
»Und deine jetzt auch«, sagte Luxa und riss mit den Zähnen ein Stück Klebeband ab.
Hamnet hatte alle Garben aufgeschichtet und kam jetzt zu ihnen, um ihnen beim Zusammenbinden zu helfen. Luxa und Hamnet vermieden es, miteinander zu reden. Gregor fand das sehr schade, denn er mochte beide und schließlich waren sie miteinander verwandt. Er wusste nichtrecht, wie er sie zum Reden bringen sollte, aber versuchen musste er es.
»Ihr seht euch vielleicht ähnlich«, sagte er. »Ihr habt sogar das gleiche Lächeln.«
Luxa und Hamnet schauten sich argwöhnisch an, sagten jedoch nichts.
»Luxa sieht aus wie ihre Mutter, oder? Ripred hat gesagt, sie ist deiner Zwillingsschwester wie aus dem Gesicht geschnitten«, fuhr Gregor fort.
Das war eine Art Frage, also musste Hamnet antworten. »Es ist erstaunlich, wie sehr sie Judith ähnelt. Schon als Kleinkind …« Er brach ab.
»Ach ja, als Luxa klein war, warst du ja noch da«, sagte Gregor.
»Ja, damals waren wir gute Freunde, Luxa und ich. Mit mir ist sie zum ersten Mal auf einem Flieger aus der Stadt herausgeflogen«, sagte Hamnet.
»Zu dem Strand mit den Kristallen«, sagte Luxa leise.
Hamnet schaute sie überrascht an. »Das weißt du noch? Du kannst nicht älter als zwei Jahre gewesen sein.«
»Ich erinnere mich nur an einzelne Bruchstücke. Ich habe immer noch einen Kristall. Er ist blau«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher