Gregor und die graue Prophezeiung
sie zum Kai, wo Gregor in der ersten Nacht seinen Fluchtversuch gestartet hatte. Einige Unterländer hatten sich versammelt, um sie zu verabschieden.
»Ares wird euch zum Tor über der Wasserstraße bringen«, sagte Vikus. »Von dort bis zu eurem Haus ist es nicht weit.«
Mareth drückte Gregor einen Stapel Papier in die Hand. Gregor sah, dass es Geld war. »Ich habe es aus dem Museum genommen. Vikus sagte, ihr werdet es brauchen, um im Überland zu reisen.«
»Danke«, sagte Gregor. Er hätte gern gewusst, wo der Ausgang im Verhältnis zu ihrer Wohnung lag. Aber das würde er wohl bald herausfinden.
»Der Weg ist jetzt sicher, aber ihr solltet nicht zaudern. Wie ihr wisst, können sich die Dinge im Unterland schnell verändern«, sagte Solovet.
Gregor wurde sich plötzlich bewusst, dass er diese Leute nie wiedersehen würde. Er war selbst überrascht, wie sehr sie ihm fehlen würden. Sie hatten eine Menge zusammen durchgemacht. Er umarmte alle zum Abschied. Als er zu Luxa kam, überlegte er, ob er ihr vielleicht nur die Hand geben sollte, doch dann umarmte er auch sie. Sie erwiderte seine Umarmung sogar, ein wenig steif zwar, aber schließlich war sie ja auch eine Königin.
»Und wenn ihr zufällig mal im Überland seid, meldet euch«, sagte Gregor.
»Vielleicht treffen wir uns hier eines Tages wieder«, sagte Luxa.
»Na, ich weiß nicht. Meine Mutter gibt mir wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Hausarrest, damit mir nichts mehr passieren kann«, sagte Gregor.
»Was bedeutet das, Hausarrest?«, fragte Luxa.
»Dass ich die Wohnung nicht mehr verlassen darf«, sagte Gregor.
»Davon ist in der nächsten Prophezeiung nicht die Rede«, sagte Luxa nachdenklich.
»Was? Was für eine Prophezeiung ist das?«, fragte Gregor und spürte Panik in sich aufsteigen.
»Hat Vikus dir nichts davon erzählt? Sie folgt auf ›Die graue Prophezeiung‹«, sagte Luxa.
»Aber da komm ich nicht drin vor. Oder? Nein, oder? Vikus?«, sagte Gregor.
»Oh, ihr müsst auf der Stelle los, wenn ihr die Strömung nehmen wollt«, sagte Vikus, setzte ihm die Trage mit Boots auf die Schultern und führte ihn zu Ares, der schon Gregors Vater auf dem Rücken trug.
»Was verheimlichen Sie mir? Was ist das für eine Prophezeiung?«, fragte Gregor noch einmal, als er auf Ares’ Rücken gehoben wurde.
»Ach, die«, sagte Vikus leichthin. »Sie ist sehr unklar. Seit Jahrhunderten kann sie niemand erklären. Fliege hoch, Gregor der Überländer.« Auf ein Zeichen von Vikus breitete Ares die Schwingen aus.
»Aber was ist es denn? Was steht drin?«, rief Gregor, als sie sich in die Lüfte erhoben.
»Tschüs, Temp! Bis bald!«, rief Boots und winkte fröhlich.
»Nein, Boots, nein! Wir kommen nicht zurück«, sagte Gregor.
Das Letzte, was Gregor sah, als sie den Palast verließen, war Vikus, der ihnen nachwinkte. Ganz sicher war er sich nicht, aber er meinte den alten Mann rufen zu hören: »Auf bald!«
Es ging wieder den Fluss hinab, aber diesmal flog er auf Ares’ starkem Rücken über das aufgewühlte Wasser. Bald kamen sie zu dem Strand, wo er Fangor und Shed begegnet war. Er sah kurz die schwarze Erde, wo das Feuer gewütet hatte.
Zehn Minuten später mündete der Fluss in etwas, das entweder ein Meer oder der größte See war, den Gregor je gesehen hatte. Riesige Wellen rollten über die Wasseroberfläche und brachen an felsigen Stränden.
Zwei Wachen auf Fledermäusen tauchten auf und geleiteten sie übers Wasser. Gregor sah keine Ratten, aber wer wusste schon, was hier sonst noch alles auf einen Leckerbissen wartete. Aus dem Augenwinkel sah er einen sieben Meter langen gezackten Schwanz, der kurz aus dem Wasser schnellte und dann wieder in die Tiefe tauchte. Lieber gar nicht fragen, dachte er.
Die Wachen hielten ihre Stellung, als Ares in einen riesigen Steinkegel flog und darin immer höher stieg. Am Boden hatte er einen Durchmesser von mehreren Kilometern. Ein seltsamer nebliger Wind schien sie hinaufzublasen. Bestimmt die Strömungen, dachte Gregor.
Je höher sie kamen, desto enger wurden die Kreise, die Ares flog. In der Spitze musste er die Flügel anlegen, um sich durch die Öffnung zu zwängen.
Plötzlich sausten sie durch Tunnels, die Gregor vertraut vorkamen. Sie waren nicht aus Stein, sondern aus Beton, und Gregor wusste, dass sie jetzt bald zu Hause waren. Ares landete auf einer verlassenen Treppe und machte eine Kopfbewegung nach oben.
»Weiter kann ich euch nicht begleiten«, sagte Ares. »Hier kommt ihr
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