Grenzen der Sehnsucht
entgegnet: „Ich glaub nicht, dass das hier Erfolg hat.“
Ich muss an einen befreundeten Redakteur in Berlin denken, der selbst beim flüchtigen Smalltalk dazu neigt, tiefenpsychologische Nachforschungen anzustellen. Säße er mit am Tisch, würde sein Impuls an dieser Stelle sofort anspringen und besorgt nachfragen, ob das was mit einer schweren Kränkung aus der Kindheit zu tun hat.
Glaubt man den Gerüchten, die in der Kölner Szene kursieren, dann werden die Heteros durch eine schleichende homosexuelle Invasion langfristig aus der Stadt verdrängt. Achtzigtausend schwule Männer leben angeblich hier, gut die Hälfte davon soll innerhalb der letzten zehn Jahre zugezogen sein. Aus Städten wie Bottrop, Herne und Gelsenkirchen. Tendenz steigend. Darauf sind die Schwulen stolz, und sie lassen keine Gelegenheit aus, sich als eine Art europäisches San Francisco des 21. Jahrhunderts anzupreisen. Bei den genannten Zahlen handelt es sich allerdings um kühne Schätzungen, die man im Zusammenhang mit der schwulen Variante des Kölner Lokalpatriotismus sehen muss. Dieser ist nämlich stärker ausgeprägt als anderswo und funktioniert größtenteils durch die Abwertung anderer Städte. Die traditionelle Rivalität mit Düsseldorf – nur halb im Scherz die verbotene oder auch die böse Stadt genannt – ist dafür nur ein Beispiel unter vielen.
„Also, ich verstehe gar nicht, wie man in Berlin leben kann“, sagt Djangos Herrchen Nummer Eins mit betont mitleidiger Stimme, nachdem er sich erkundigt hat, wo ich herkomme. Er schaut mich verständnislos an und lehnt sich zurück. „Dort ist alles so extrem. Ich habe gehört, dass man als Schwuler ständig Angst haben muss, von türkischen Jugendlichen überfallen zu werden. Alle sind so aggressiv. Das erleben wir selbst immer wieder, wenn wir zu Besuch sind.“ Sein Freund und er nicken sich zustimmend zu.
Köln hingegen ist eine Insel der Seligen, wie ich nun dazu gelernt habe. Ein Ort für besonders sensible Seelen.
Der Kellner serviert nun am Nachbartisch Kuchen mit Schlagsahne. Django geht unter dem Tisch in Lauerstellung. Er hat es darauf abgesehen, ein paar Krümel zu ergattern. Nummer Eins lässt sich allerdings kein bisschen erweichen und schaufelt innerhalb einer Minute alles in sich rein – als könnte es ihm sonst jemand wegnehmen. Mein befreundeter Berliner Redakteur würde jetzt mutmaßen, dass sich die Mutter von Nummer Eins früher nicht genügend Zeit beim Stillen genommen hat.
Viel entspannter beim Kuchenessen gibt sich hingegen Nummer Zwei, der währenddessen eine Leckerei aus einer Einkaufstasche rauskramt und dem Hund zusteckt.
„Köln ist die schwule Hauptstadt von Deutschland“, sagt er und leckt sich genüsslich die Sahne vom Finger ab, „hier leben viel mehr Homos als in Berlin. Außerdem ist es hier so zentral. Mit dem Flieger oder dem Zug ist man in Nullkommanichts in Paris zum Shoppen, in Amsterdam zum Ausgehen oder in Gran Canaria zum Relaxen. Ich könnte mir nicht vorstellen, an einem anderen Ort als in Köln zu leben.“
Auch wenn das schwer nach Jetset klingen soll – „weltgewandt“ ist doch irgendwie was anderes.
Schwule Globalisierung: Per Internet von Bagdad nach Köln
Djangos Herrchen haben soeben bezahlt. Vom Fenster aus sehe ich gerade noch, wie sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihre Einkaufstüten in einem blitzblanken Volvo verstauen und das Hündchen auf dem Rücksitz Platz nehmen lassen. Eine Szene wie aus einem Werbeclip.
Da kommt der Mann zur Tür rein, mit dem ich verabredet bin. Er heißt Shaker und hat jemanden an seiner Seite. Obwohl das Barflo immer noch proppenvoll ist, erregt die Ankunft der beiden südländisch aussehenden Männer Aufsehen. Man dreht sich um, wirft ihnen von allen Seiten begehrliche Blicke zu.
„Das ist mein Freund“, sagt Shaker, legt den Arm um seinen Liebhaber und lächelt ihn an. Der erwidert das Lächeln, blickt dann verlegen zu mir und schüttelt mir zur Begrüßung höflich die Hand.
Man würde allein an ihrer Mimik erraten, dass die beiden frisch verliebt sind.
„Wir haben uns bei Gaydar kennen gelernt“, sagt Shaker und setzt wie selbstverständlich voraus, dass ich weiß, was damit gemeint ist. „Mein Freund kommt aus Lille. Wir sind seit einem Monat zusammen.“
Gaydar – so nennt sich jenes Internetportal mit Hauptsitz in London, das seit ein paar Jahren eine führende Stellung auf dem Kontaktmarkt unter Männern einnimmt. Nur Gayromeo ist noch
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