Grenzen der Sehnsucht
das vor allem den Homos ihrer eigenen Partei, die ihr und anderen Unionsspitzen schon seit Jahren auf die Pelle rücken. Gerade in Hessen sind sie besonders stark; mit dem Wiesbadener Rolf Ohler stellen sie sogar den Bundesvorstand jener bemerkenswerten Interessenvertretung, die sich Lesben und Schwule in der Union nennt, kurz: LSU, eine Vereinigung, die noch zu Beginn der neunziger Jahre undenkbar gewesen wäre. CDU-Mitglieder, die öffentlich zu ihrer Homosexualität stehen? Kuriosum genug. Aber dass sich emanzipierte Schwule und Lesben selbstbewusst zu christdemokratischen Werten bekennen, sie mit ihrer Sexualität in Einklang bringen und auch noch offensiv dafür kämpfen – das hätte vor nicht allzu langer Zeit noch jegliche Vorstellungskraft überfordert. Und zwar in allen Lagern.
Doch die Fronten zwischen den Weltbildern haben sich aufgelöst, spätestens mit der Homo-Ehe, die in Frankfurt ihre Hochburg gefunden hat. Im ersten Jahr ließen sich hier im Vergleich zu allen anderen Städten Deutschlands die meisten gleichgeschlechtlichen Paare trauen, zumindest im Verhältnis zur Einwohnerzahl: mehr als in Berlin, weit mehr als in Hamburg und mehr als doppelt so viele wie in Köln. Wer hätte gedacht, dass dabei ausgerechnet das konservative Frankfurt an die Spitze stürmen würde?
Doch warum sollte das eigentlich auch nicht zusammengehen – Schwulsein und eine konservative Lebensführung?
Ganz am Anfang, als aus Teilen der traditionell antibürgerlichen Homo-Bewegung erstmals die Forderung aufkam, die Ehe auch Schwulen und Lesben zu ermöglichen, da klang das zugegebenermaßen noch radikal, fast nach Revolution, mindestens jedoch spektakulär, wie eine verrückte Idee aus der Hippie-Ära. Eine tolle Geschichte für die Medien war es auf alle Fälle. Als sich schließlich die Grünen des Politikums annahmen und, kaum dass sie an die Regierung kamen, auch umzusetzen begannen, ergoss sich eine Flut von TV- und Zeitungsberichten über das Land. Überall schien es nur so von heiratswilligen Schwulen und Lesben zu wimmeln. Und wie das nun mal ist mit der Kampagnenmaschinerie: Wenn sie erst mal angeworfen wird, zeigt sie schnell Wirkung. Nach Einführung der Homo-Ehe regte sich bald „keine Marktfrau“ mehr darüber auf, so die Frankfurter Rundschau. Auch wenn von echter Akzeptanz noch nicht die Rede sein kann, hat sich die Furcht vor dem Untergang des Abendlandes doch weitgehend erschöpft, sieht man mal von ein paar christlichen Hardlinern ab.
Und die wertkonservativen Schwulen und Lesben machten eine wunderbare Entdeckung. Nämlich, dass sich die Homo-Ehe mit dem christlich-demokratischen Gedankengut noch besser vereinbaren lässt als mit allen anderen Ideologien, wie übrigens auch das Recht auf Adoption von Kindern, für das sie sich mächtig ins Zeug legen. Ehe und Familie bedürfen des besonderen Schutzes? Stimmt genau, und indem auch wir sie wollen, drücken wir doch nur unsere Wertschätzung dafür aus. So argumentiert die LSU in ihrem Programm – als wären die Forderungen im Lager der Union aufgestellt worden, und nicht etwa bei den schwulenbewegten Grünen.
Das darf man den Homo-Konservativen wohl als einen cleveren Winkelzug anrechnen. Er sei ihnen gegönnt, denn ansonsten haben die schwulen und lesbischen Aktivisten in der Union nichts zu lachen. Von den Fundis ihrer eigenen Partei werden sie hin und wieder in aller Öffentlichkeit gedemütigt, wie zum Beispiel von dem umstrittenen Rechtsaußen Martin Hohmann aus Nordhessen, der mit seinem Aufruf gegen die „Denaturierung“ der Familie und zur „aktiven Zivilcourage“ gegen Schwule und Lesben Schlagzeilen machte. Das saß – vor allem deshalb, weil keines von den prominenten Parteimitgliedern empört auf-schrie, ja nicht mal zaghaft zu widersprechen wagte. Enttäuscht war man vor allem vom Schweigen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Kurz zuvor hatte er in einem Grußwort an die LSU betont, mit ihnen „schon seit einiger Zeit in direktem Gespräch“ zu sein.
Nein, ein leichtes Spiel haben die Lesben und Schwulen in der Union gewiss nicht, und schon gar nicht innerhalb der Homo-Szene, wo man sich immer noch schwer mit ihnen tut. Dass sie hin und wieder bereit sind, zugunsten der Partei ihre Selbstachtung zu opfern, dass sie dabei so manches Mal Diplomatie mit Unterwerfung verwechseln, das will man ihnen nicht verzeihen. Auf jede Form von Selbstverleugnung reagiert man in der Szene mittlerweile allergisch.
Trotzdem wird die
Weitere Kostenlose Bücher