Grenzen der Sehnsucht
LSU in ihrer Beharrlichkeit womöglich unterschätzt, und zwar von allen Seiten. Wenn das Projekt der Emanzipation bedeutet, dass Homosexualität quer durch alle Gesellschaftsschichten hindurch akzeptiert werden soll, dann können es schließlich nur die konservativen Schwulen und Lesben vollenden – bei allen Widersprüchen, die dabei zum Vorschein treten.
In den USA ist das Phänomen schon lange bekannt, das liberale Magazin The Nation widmete dem new gay con ser vatism einmal eine mehrseitige Titelstory. Log Cabin Republicans – so heißen die mehrheitlich schwulen Schlipsträger-Lobbyisten, unter denen nur wenige Lesben vertreten sind. Mitte der neunziger Jahre sorgten sie erstmals USA-weit für Furore, als herauskam, dass sie den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Bob Dole mit einer Spende unterstützten, um ihn zu einer homofreundlicheren Politik zu bewegen. Dieser nahm den Scheck erst dankbar an und schickte ihn später doch zurück. Eine Groteske, so schien es auf den ersten Blick, und auch wenn es ihnen in ihrer Partei nicht leicht gemacht wird – erst recht nicht in der Amtszeit von George W. Bush – zweifelt inzwischen kaum noch jemand daran, dass die Log Cabins langfristig Macht und Einfluss innerhalb der Republikaner gewinnen. Es gilt als ausgemacht, dass sie schon bis zu einer Million Wählerstimmen zu mobilisieren – oder auch zu verhindern – imstande sind.
Da ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Saat des Homo-Konservatismus auch in Europa zur Blüte treibt. Frankfurt verfügt dafür über den fruchtbarsten Nährboden deutschlandweit. Das Fundament des Konservativen bildet nicht so sehr Religion oder regionales Brauchtum wie etwa in Bayern, sondern das flexiblere internationale Business-Klima und die hohe Dichte an Finanzinstituten und Konzernzentralen.
Und war die Stadt, die sich so gerne „Mainhattan“ nennt, nicht immer schon ein Einfallstor für Einflüsse aus den USA?
Ein Blick zurück in die siebziger Jahre: Mit ein paar Jahren Verspätung ist die amerikanische gay liberation, die im Nachhall der Straßenkämpfe in der Christopher Street aufkam, nach Westeuropa übergeschwappt. Wie auch in den USA war sie von der Studentenbewegung beeinflusst; in der Bundesrepublik gab sie sich jedoch einen extrem antibürgerlichen und militanten Anstrich.
Eheähnliche Beziehungen? Kommt nicht in die Tüte! Damit grenzt man doch nur andere aus. So lautete das Credo der jungen Wilden; es spiegelt sich in Rosa von Praunheims historischem Film wider: Nicht der Homo sexuel le ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. Schwule, die eine Beziehung pflegen wie ein bürgerliches Paar, das konnte er sich bestenfalls als Karikatur ausmalen.
Eine Parole auf einem Transparent, mit dem damals der Frankfurter Sexualwissenschaftler Martin Dannecker eine Demo anführte, lautete: „Brüder und Schwestern, warm oder nicht, Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht!“
Wer sich den revolutionären Phantasien nicht anschließen mochte, hatte kaum eine Chance, Gehör zu finden. Anfangs zählten zum Feindbild der neuen Politbewegung auch Schwulenkneipen. Deren Wirte seien nur auf Ausbeutung der Schwulen aus, schimpften die neuen Homo-Aktivisten, und obendrein gaukle man den Besuchern vor, ihre Sexualität frei ausleben zu können, obgleich dort nur Beziehungslosigkeit und Ghettomentalität gefördert werde.
Am Ende des Jahrzehnts entschärften sich die Töne. Auf dem Höhepunkt der deutschen gay liberation feierte die Bewegung das Homolulu-Festival in Frankfurt, eine Art Woodstock für Schwule, das bundesweit eine einzigartige Resonanz in den Medien fand. Man zeigte Filme, meditierte gemeinsam und rief dabei „Omm“, spielte Theater und schwenkte Schilder auf Kundgebungen. Oder man nahm an Workshops teil, die sich verschiedenen Themen widmeten, zum Beispiel den schwulen Kneipen und Discotheken. So verbissen wie noch ein paar Jahre zuvor wollten die Homo-Aktivisten die eigene Subkultur nun nicht mehr aburteilen.
„Ohne das Bedürfnis nach glitzernder Disco-Atmosphäre mit der Möglichkeit, sich zur Schau zu stellen, gäbe es die Schwulen-Discos nicht“, lautete auf einmal eine der Erkenntnisse, die in einem Thesenpapier festgehalten wurden.
Zu diesem Zeitpunkt grassierte es längst in der Szene, das Discofieber, ausgelöst durch einen Boom in den USA und angeheizt durch all die Geschichten aus dem New Yorker Studio 54, das zum kommerziellen Sinnbild eines neuen,
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