Grenzen der Sehnsucht
funktionellem Design war und der ihn für die Vorwerk-Produkte begeistern konnte, zu denen die bekannten Staubsauger gehören.
Trotzdem hat nicht alles die gleiche Bedeutung in seiner Werteskala. Die Begegnung mit Tibetanern und dem Buddhismus gehört zu jenen Dingen, die ihn auch heute noch – nach mehr als 25 Jahren – in Bann halten. Daraus, sagt er, schöpfe er Energie und spirituelle Kraft.
„Seitdem ich mich mit dem Buddhismus beschäftige, habe ich sogar aufgehört, Vegetarier zu sein.“
Wie bitte? Damit aufgehört? Ist es nicht normalerweise gerade andersrum – man wird Buddhist und hört dann auf, Fleisch zu essen?
„Als Vegetarier läuft man Gefahr, andere Leute vor den Kopf zu stoßen, wenn man den Eindruck erweckt, sich moralisch über sie zu stellen. Da gab es ein Schlüsselerlebnis bei einem schwulen Freund. Ich war bei ihm zum Essen eingeladen, seine Mutter hatte etwas mit Fleisch gekocht. Als ich sagte, dass ich das nicht esse, bemerkte ich, dass ihr das etwas ausgemacht hat. Da wurde mir klar, dass in einer solchen Situation Engstirnigkeit und Dogmatismus schlimmer sind als ein Stück Fleisch zu essen.“
Diese Art von Kompromisslosigkeit war es auch, mit der sich anfangs die Grünen von allen anderen Parteien unterschieden. Das hat er an seiner Partei nie gemocht, diesen scharfrichterlichen Ton, diese Attitüde moralischer Überlegenheit, die freilich nicht von ungefähr kommt. Keine andere Partei zuvor stellte an sich selbst so hohe Ansprüche. Wen wundert es da, dass sich die Grünen in ihren Anfängen grenzenlos zermürbten. Längst sind sie jedoch mit den Jahren von der Realität zurecht gestutzt und eine Partei geworden, in der es jetzt ruhig etwas gelassener zugehen darf.
Heute engagiert sich Rusche im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (whk), einer sexualpolitischen Organisation, die sich genauso wenig hervortut durch feinsinnige Differenzierungen wie die Grünen in ihren ersten Jahren. Mit dem historischen Namenspatron, der weltweit ersten Schwulenorganisation um den Berliner Arzt Magnus Hirschfeld, hat das whk kaum etwas zu tun. Vielmehr handelt es sich dabei um eine linke Splittergruppe, die sich als eine moralische Instanz innerhalb der Szene versteht: Man sieht sich nicht auf gleicher Augenhöhe mit anderen schwul-lesbischen Gruppen, sondern schaut auf sie herab. Deswegen erfreut sich das whk nicht unbedingt großer Beliebtheit.
Erinnert ihn diese Verbissenheit, diese Besserwisserei nicht an das frühere Dilemma bei den Grünen?
„Opposition und Kritik sind das Salz in der Suppe einer Gesellschaft, und es kann sich nur dann was Brauchbares entwickeln, wenn nicht alles im tumben Mainstream dümpelt. Die Schwulenbewegung ist längst viel zu angepasst, das whk ist eine scharfe Opposition, die ein wenig Sand ins Getriebe streut. Deswegen engagiere ich mich da.“
Das hört sich trotzig an. Aber auch so, als wäre es ihm ernst. So, wie Rusche eben alles ernst nimmt, was einmal seine Aufmerksamkeit erregt. Es fesselt ihn und lässt ihn eine Weile lang nicht mehr los. Zumindest das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben.
Frankfurt, Zwischenstation Sehnsucht:
Das Small-Town-Boy-Syndrom und seine Folgen
Der Mensch von heute, sagen uns die Gesellschaftswissenschaftler, ist ganz auf sich alleine gestellt. Das ist der Preis, den er für seine Freiheit und Einzigartigkeit bezahlen muss. Er hat keine Götter mehr, die ihm früher noch Geborgenheit vermittelten, ihn andererseits aber auch mit Vorschriften drangsalierten. Alle früheren Gewissheiten sind dahin, und auch die großen Ideologien sind längst am Bröckeln. Er ist an keine Milieus mehr gebunden, an keinen Ort, keinen Kulturkreis und keine Verwandtschaft, sondern kann sein Leben ganz alleine in die Hand nehmen, sich die Stadt und sogar das Land aussuchen, wo er leben möchte, und seine Biografie selbst zusammenbasteln, seinen persönlichen Lifestyle und sein Rollenbild selbst kreieren und dabei aus dem riesigen Angebot der globalisierten Popkultur schöpfen, seine Lebensgefährten, seine Freunde, seine Ersatzfamilie nach Lust und Laune aussuchen und bei Bedarf wieder zum Teufel schicken. Ob er dabei erfolgreich und glücklich ist, liegt nicht weiter am Schicksal oder an der Gesellschaft, sondern allein an seinen Fähigkeiten, seinem Willen und seiner Flexibilität.
So weit der Mythos vom postmodernen Menschen, dessen Identität man sich wie eine Art Mosaik vorstellen muss: Herkunft oder Abstammung sind nur noch
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