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Grenzfall (German Edition)

Grenzfall (German Edition)

Titel: Grenzfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kröger
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Dämmerung die Augen leicht zusammenkneifen musste, um scharf zu sehen.
    Nichts bewegte sich. Wie oft hatte er hier schon Wildschweine gesichtet, sogar jetzt waren die dunklen Spuren ihres nächtlichen Wühlens deutlich im helleren Gras zu erkennen.
    Der Jagdgast Hajo saß neben ihm auf dem engen Hochsitz. Seine Ungeduld war deutlich zu spüren, er schien zu vibrieren. Vielleicht hätte er ihn doch ermutigen sollen, mit einem der Mädchen aufs Zimmer zu gehen. Doch Hajos gute Laune war plötzlich verflogen, er drängte zum Aufbruch und zahlte die Rechnung mit der säuerlichen Miene eines Mannes, der sich betrogen fühlt. Im Aufzug hatte er Uwe vorwurfsvoll angestarrt. So lange, bis der sich genötigt sah, zu fragen, ob alles in Ordnung sei.
    »In Ordnung!«, explodierte Hajo. »Nichts ist in Ordnung! Du hast mich hierher gelockt, und wir vertrödeln unsere Zeit. Und wenn einer nicht aufpasst, kommt er mit AIDS nach Hause. Ich bin zum Jagen hier und nicht zum Ficken!«
    Uwe schluckte seinen Ärger hinunter. ›Der Kunde ist König!‹, dröhnte Wedemeiers Stimme in seinem Ohr. Auf der Rückfahrt konnte er es nicht lassen, ein bisschen stärker aufs Gaspedal zu drücken als nötig. Mit Befriedigung registrierte er, dass Hajo sich am Griff über der Tür festhielt. Beinahe hätte er einen Fußgänger übersehen, der plötzlich einen Schritt auf die Fahrbahn machte. Was hatten die bloß da zu suchen, nachts auf der Landstraße?
    Hajos teure Windjacke knisterte bei jeder Bewegung, und der Mann war dauernd in Bewegung. Leider war dies das einzige Geräusch.
    Hatten sich die Tiere des Waldes dieser Tage gegen ihn verschworen? Dabei war er immer ein ordentlicher Jäger gewesen, der sich genau an die Quoten hielt. Er sah sich als Hüter seiner Jagd, wie ein guter Herrscher, der nur eingriff, wenn es nötig war. Ein Vollblut-Kommunist war er nie gewesen, er stammte aus einer langen Reihe von Kleinbauern, denen ihr eigenes Wohl näher lag als das der Massen. Aber sie wussten auch, was sie wert waren, die pommerschen Bauern. Sein Vater hatte sich mit den Russen arrangiert, so wie er es immer getan hatte, egal wer an der Macht war. Als Uwe zur Welt kam, war das Land längst verstaatlicht, und er hatte die Wahl, bei der LPG anzufangen oder nicht. Er entschied sich dagegen. Was hatte es für einen Sinn, sich den Rücken krumm zu ackern, wenn man selbst nicht mehr und nicht weniger davon hatte als jeder andere DDR-Bürger? Er trat in den Polizeidienst ein. Das brachte viele Vorteile.
    Wieder knisterte Hajos Jacke. »Kannst du nicht einen Tag länger bleiben?«, fragte Uwe leise. »Morgen wird drüben auf dem Feld an der Autobahn die Wintergerste gemäht, da kommt das Wild in Scharen aus dem Getreide.«
    Hajo sah ihn an. Selbst im Dunkeln spürte er die Verachtung in diesem Blick. »Ich zahle doch nicht ein halbes Vermögen für Kinderspielchen. Ich bin Jäger und nicht beim Schützenverein!« Er vergaß zu flüstern und seine Stimme hallte über die Lichtung. »Mein Flugzeug geht um neun Uhr dreißig ab Tegel. Also lass dir was einfallen, Mensch! Ohne einen vernünftigen Abschuss hat Wedemeier einen Kunden weniger. Und das wird ihm nicht gefallen!«
    Uwe wusste, das war keine leere Drohung. Der Mann war geladen bis zum Anschlag. Die Angst ballte sich zu einem Knoten in seiner Brust. Ohne Abschuss würde Wedemeier sich nach einem anderen Jagdführer umsehen. Für ihn bedeutete das, Auto und Gewehr abgeben, wieder von der mageren Frührente leben und von den paar Kröten, die die Frau aus dem Konsum nach Hause brachte. Ausgeträumt der Traum vom Weimaraner. Das Schweinesteak am Sonntag würde seltener werden. Er musste zu Fuß die Dorfstraße runtergehen, den Blicken ausgeliefert. Die Peltzower hatten ihn nicht gemocht, als er zu DDR-Zeiten Polizist war. Und sie mochten ihn jetzt nicht, weil er den neuen Wagen von Wedemeier fuhr und nicht in irgendeinem kapitalistischen Gefängnis schmorte. Das könnte denen so passen, den Wendehälsen. Wer alles für die Stasi gespitzelt hatte, das wusste er besser als jeder andere im Dorf. Er hatte die Listen schließlich schwarz auf weiß vor sich gehabt, und nicht nur einmal.
    Da! War das ein Knacken im Unterholz oder wieder die verdammte Jacke? Er hob das nachtsichtverstärkte Fernrohr an die Augen. Nichts. Hajo hatte sein Gewehr hochgerissen. Uwe schüttelte den Kopf. Falscher Alarm. Er holte einen Flachmann mit Wacholderschnaps aus der Tasche, den ihm der alte Müller beim Aufbruch noch

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