Grenzfall (German Edition)
Sternburg-Flasche mit seinem Feuerzeug aufhebelt.
»Glauben Sie denn auch, dass der Mähdrescher den Brand verursacht hat?«
Sein Nachbar wirft einen Blick in die Runde. »Na ja, kann schon mal passieren.«
Nick kann das Unwohlsein der Männer beinahe physisch erfassen, so dick hängt es über dem Tisch. Die Wehrführerin hat sich zurückgelehnt und beobachtet ihn schweigend.
Er greift nach einem fettigen Stück Papier, in das wahrscheinlich die Räucherforellen eingewickelt waren. Holt einen Stift aus der Tasche. »Okay, dies ist das Feld.« Ein langgestrecktes Dreieck, an zwei Seiten begrenzt durch die Autobahn und die Allee. Hinten der Knick, der sich bis zur Autobahn zieht, kurz vor dem Grenzübergang. »Hier stand der Mähdrescher, sagt Helmut.« Er macht ein Kreuz. »Und wo lagen die beiden Männer?«
»Schieb mal rüber.« Das kommt von ganz hinten, brauner Bürstenhaarschnitt, breites Gesicht. Er betrachtet die Zeichnung, macht ein Kreuz. »Hier lagen die.«
»Und das Feuer? Kann mal jemand das schraffieren, von wo nach wo das über das Feld ging?«
Allgemeines Gemurmel. Man weiß nicht mehr genau. Woher kam der Wind? Lass uns mal von hinten anfangen. Die Autobahn musste gesperrt werden, weil der Rauch da rüberzog.
Nick nimmt einen Schluck Bier und lässt sie machen. War das gerade ein Nicken von der Blonden? Er lächelt vorsichtshalber zurück.
Sein gezeichnetes Feld wird etwa zur Hälfte ausgemalt. An den Häusern ist es ja Gott sei Dank vorbeigezogen. Das Haus der alten Wittig hätte es beinahe erwischt. Meinst du die mit dem Hund?
Am Ende hat er eine ziemlich genaue Vorstellung davon, welchen Weg das Feuer durch das Feld genommen hat.
»Ich bin ja kein Fachmann.« Allgemeines Nicken. »Aber wenn der Mähdrescher hier oben stand, dann muss das Feuer ja weiter unten angefangen haben, also ungefähr hier.« Er deutet auf einen Punkt zwischen der Allee und den beiden Toten.
Die Wehrführerin beugt sich vor. »Sieht so aus, ja.«
»Als wir gelöscht haben, da standen lauter Leute am Straßenrand. Könnt ihr euch noch erinnern?« Das ist wieder der Dicke. Zustimmendes Brummen. »Und wisst ihr noch, wer genau hier stand? Hab ich immer noch vor Augen.« Wieder diese unbestimmte Zurückhaltung. »Der Jahn. Hat zugeguckt, wie wir uns abrackern.«
Schweigen. Es ist Zeit, das Thema zu wechseln. Nick nimmt das Räucherpapier und faltet es vorsichtig zusammen. »Und die beiden Toten?«
»Als wir fertig waren, kamen der Arzt und die Notfallrettung. Den einen haben sie gleich liegen lassen. Den anderen haben sie noch mal reingenommen. Hat aber nichts mehr gebracht.«
Nick denkt daran, was der Staatsanwalt gesagt hat. Wegen unterlassener Hilfeleistung kann man nur angeklagt werden, wenn man weiß, dass man jemanden verletzt hat. Und die Aussagen vor Gericht konnten das nicht einwandfrei belegen. »Hat Sie denn die Polizei damals vernommen?«, fragt er in die Runde.
»Uns? Nöö.« Blicke schießen hin und her. »Uns hat keiner gefragt.«
»Und warum haben Sie sich nicht freiwillig gemeldet?« Muss man denen denn alles aus der Nase ziehen?
»Kommen Sie mal mit.« Die Blonde nickt zum See hin.
Nick steht auf und geht hinter ihr her bis auf den Steg, außer Hörweite.
»Wer sind Sie überhaupt?«
Er reicht ihr seinen Presseausweis, den sie lange studiert.
»Aber Sie sind nicht hier aus der Gegend, oder?«
»Berlin.«
»Hab ich mir gedacht.« Sie stützt sich mit den Ellenbogen auf das Geländer und guckt über den See. Am anderen Ufer lagert eine Kolonie Graugänse.
»Dann erklären Sie mir doch, was hier los ist.« Nick lehnt mit dem Rücken am warmen Holz und hält sein Gesicht in die Abendsonne.
»Ich war damals ja erst fünfzehn.« Sie spricht leise. »Die Leute waren ganz schön wütend, dass der Jahn und der Wessi einfach so davonkamen. Bei allen Stimmen, die dagegen waren, dass hier immer mehr aus dem Osten nachts über die Grenze gingen. Das können Sie mir glauben. Wir sind kein Dorf voller Nazis.«
»Das hat ja auch keiner behauptet«, sagt Nick. »Aber wovor haben Ihre Leute heute Angst?«
Sie schüttelt unwillig den Kopf. »Angst. Ist doch übertrieben. Die wollen einfach keine alten Geschichten wieder aufwärmen. Das gibt nur Ärger.«
Nick weiß immer noch nicht, worauf sie hinauswill. »Ärger? Mit wem?«
Sie dreht sich abrupt um. »Wissen Sie, was unser Problem ist? Die Feuerwehren sterben aus. Wer will denn heute noch am Wochenende freiwillig Dienst für die Gemeinschaft
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