Grenzfall (German Edition)
NPD-Website ist ein Vertreter der demokratischen Presse?«
»Sie vom Neuen Deutschland sind ja wohl eher im Stalinismus stecken geblieben!«
Schölling hebt beschwichtigend die Hand. »Aufhören! Wir brechen die PK sonst auf der Stelle ab. Zu Ihrer Frage: Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob der Tatbestand des Raubmordes gegeben ist. Richtig ist jedoch, dass bei der Zeugin eine größere Menge Geldes sichergestellt werden konnte.«
Es bricht Unruhe aus. Alle reden durcheinander. Nick schiebt sich rückwärts in Richtung Tür. Er hat genug.
Draußen auf dem Flur atmet er tief durch. Jasmin hat recht. Dies ist kein Ort, an dem er gern mit seinem Sohn wäre. Er hat Sehnsucht nach Azim. Selbst nach dem Windelnwechseln.
Wenn er jetzt losfährt, ist er heute Abend noch in Kiel.
Rechtzeitig zum Vorlesen.
25. Juni 2012, Tiergarten-Mitte
Berlin, Deutschland
Der Hauptbahnhof ist voller Fußballfans. Berliner auf dem Weg nach Warschau zum Halbfinale. Nicht-Berliner auf dem Weg zur Fanmeile an der Siegessäule. Mattie findet Fußball gut, aber Menschenmengen mit Deutschlandfahnen, Deutschlandhüten, Deutschlandblumenkränzen aus Plastik und Schwarz-Rot-Gold im Gesicht machen sie nervös. Nationalquatsch. Gut, dass es bald vorbei ist.
Der Zug aus Budapest kommt mit einem lauten Kreischen zum Stehen. Nadina, die vor ihr im Gang steht, dreht sich um. »Viele Leute.«
Mattie lächelt. Muss ein komischer erster Eindruck von Berlin sein. »Fußballfans.« Plötzlich entdeckt sie einen dicken Bauch. Kurze Hosen, Badelatschen. Willkommen in Rumänien!
Die Türen gehen auf.
»Liviu!« Er kann sie nicht hören. Unglaublicher Lärm erfüllt die Halle. Mattie winkt. Er teilt die Menge wie ein Ozeandampfer.
»Bun ă ziua!« Sie kriegt ein Grinsen und die Andeutung einer Umarmung. Nadina und Liviu beäugen sich kritisch. Eine Vorstellungsrunde ist sinnlos. Man versteht kaum sein eigenes Wort.
Ihr Bus steht im absoluten Halteverbot vor dem Bahnhof. »Schnell weg hier!« Mattie sieht im Augenwinkel zwei Polizisten im Anflug. Ihr geliebter Bus. As much home as you can get. Sie schwingt sich auf den Fahrersitz und deutet hinter sich. »Bitte anschnallen und die Türen schließen.«
Bis sie bei der Kanzlei einen Parkplatz findet, haben die beiden das erste Abchecken hinter sich gebracht. Sie umkreisen einander vorsichtig mit wenigen Worten. Mattie wirft einen Blick in den Rückspiegel. Livius rosarote »Wir sind alle eine Familie«-Vorstellung war wohl doch ein bisschen übertrieben.
Als sie aus dem Bus klettert, knickt Nadina um. Mattie greift nach ihrem Arm.
»Lass mich, geht schon!«
Auch wenn sie es nicht zugibt, sie hat seit gestern ganz schön was mitgemacht. »Willst du lieber im Bus warten?«
»Nein, ich komme mit.«
Sie sieht vielleicht aus wie ein normales Mädchen, mit ihren Ballerinas, Röhrenjeans und der schicken H&M-Bluse. Darunter verbirgt sich derselbe harte Kern wie bei ihrer Mutter. Schwer zu brechen. Mattie gruselt es bei der Vorstellung von Nadina als Hausmädchen eines Neureichen an der Côte d’Azur.
Die Kanzlei gleicht wieder mal einem Bienenstock. Die beiden Anwälte sitzen an dem großen Tisch neben der Küche, an dem mittags auch gegessen wird. Volker mit seiner Mate, Bettina mit einem Espresso.
»Da hast du dir ja einen tollen Einstand geleistet.« Volkers Lächeln ist warm. Er umarmt sie. Bettina auch, allerdings mit den Worten: »Eigentlich wollten wir ja jemanden für die Öffentlichkeitsarbeit, nicht für Akquise.«
Während alle sich vorstellen, macht Mattie an der Espressomaschine Kaffee für die beiden Gäste. Sie wartet darauf, dass noch jemand kommt.
Er kommt nicht.
»Wo ist eigentlich Nick?« Klingt das beiläufig genug? Sie bringt die beiden Tassen zum Tisch.
»Auf dem Weg zu seiner Familie nach Kiel.« Bettina sieht sie an, ihr Blick ist schwer zu deuten. Mattie steigt das Blut ins Gesicht.
Während die Vollmachten und Dokumente kopiert werden und die Anwälte Nadina das Procedere erklären, klinkt sich Mattie innerlich aus. Nick bei seiner Familie in Kiel. Das bedeutet, Jasmin ist bei ihrem Vater. Der lang überfällige Versöhnungsbesuch. Kamal sieht seinen Enkel. Mattie weiß, wie viel ihm das bedeutet, auch wenn er nicht darüber spricht. Ein merkwürdiges Gefühl der Ausgeschlossenheit überkommt sie. Alle Kämpfer des Shaolin versammeln sich im Kloster. Nur sie kann nie wieder dabei sein.
»Ich möchte Livius Aussage aufnehmen.« Volkers Stimme holt sie zurück in
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