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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Kaffeelöffel in seinen schlanken, immer gut gepflegten Händen und … doch, denkt sie, verschlossen schon.
    Sein Schweigen ist ihr ein wenig unheimlich, darum sagt sie, was sie sowieso gerade Lars Benner hat fragen wollen:
    »Im Boode hon äich gelese … hab ich heute gelesen, dass sogar aus Australien welche kommen zum Grenzgang. Hat dein Vater geschrieben, Lars, den Artikel. Die Greimanns, da gab’s früher die Wäscherei am Marktplatz, und jetzt heißen sie … Gräymän oder so ähnlich und wohnen in Australien, also einervon ihnen, und der kommt mit der ganzen Familie rauf zum Grenzgang. Woher weiß dein Vater so was eigentlich?«
    »Wird er recherchiert ha’m. Wer kommt von wo, also von weider weg, und hat wann in Bergenstadt gewohnd. Soll’ne Serie werden, immer montachs.«
    »Von der Wäscherei stand nichts drin. Nur dass neunzehneinundsiebzig ein Greimann zweiter Führer beim Gartenberg war, aber der ist nicht nach Australien gegangen, ganz bestimmt nicht, der hat im Kirchenchor gesungen. Das muss sein Sohn gewesen sein. Und ist doch komisch, wenn man plötzlich anders heißt, oder? Ich meine, außer wenn man heiratet natürlich. Ja, noch Kaffee?«
    »Du hattest mir noch gar nichts eingeschenkt«, sagt Thomas.
    »Ich hatte dir … Junge, und du sitzt vor deiner leeren Tasse und sagst nichts. Entschuldige!« Hastig schenkt sie ihm ein und vergewissert sich noch einmal, dass die Brot- und Kuchenmesser alle sauber sind und an ihrem Platz liegen. Das wird immer schlimmer mit dem Vergessen und lässt sich immer schlechter verbergen – vor zwei Wochen ist das Licht im Laden an geblieben, bis abends um zehn Taxi-Mohrherr anrief und fragte, ob Scharnweber neuerdings Nachtbeleuchtung angeordnet habe. Sie nimmt das Wassergefäß aus seinem Einsatz und beginnt es unter der Spüle abzuwaschen. Von drei Kunden ist sie am nächsten Tag drauf angesprochen worden. Und wer weiß, wie viele es sonst noch bemerkt haben.
    »Nächsde Woche geht’s mit de’n los, die nach Ami-Land gegangen sin«, sagt Lars Benner. »Sin auch ne ganse Menge.«
    »Nach Amerika? Aus Bergenstadt?« Sie spricht über die Schulter, mit einem plötzlichen Gefühl von Müdigkeit, das ihr den Rücken hinaufkriecht und die Schultern steif macht und sie zwingt, die Hand mit dem Lappen am Rand der Spüle abzusetzen.
    »Vor Ewichkeiten halt.«
    Sie dreht sich herum und wartet darauf, dass der Schmerzzwischen den Schultern wieder verschwindet. Taubheit, Steifheit, Stechen – immer beginnt es in der Hüfte und breitet sich von da in alle Richtungen aus, je länger der Tag wird.
    »Ja«, sagt sie zu ihrem Neffen. »Soll ich dir denn dann was mitgeben für morgen? Der Streuselkuchen hält sich doch.«
    »Soll ich dir den Stuhl von hinten holen?«
    »Nein, nein, nein. Und was ist mit Brot? Willst du Brot?«
    »Danke, Tantchen, ich bin mit allem versorgt.«
    Eben nicht, denkt sie, atmet hörbar ein und aus und hält ihm trotzdem einen halben Laib Mehrkornbrot hin. Von wem denn bitte schön versorgt?
    Draußen sind die Schatten ein Stück nach oben gewandert, und Mohrherr hat sich aus seinem Fenster zurückgezogen. Nachbarn grüßen im Vorbeigehen. Früher hat sie um diese Zeit mit Heinrich zusammen in der Ladentür gestanden und mit Bekannten geredet, die die Bachstraße hinauf- oder hinuntergingen. In dieser halben Stunde vor Ladenschluss, wenn kaum noch Kundschaft kam und Heinrich den Rat seines Hausarztes ignorierte und eine Feierabendzigarette rauchte. Das Licht erinnert sie daran. In den Jahren seit seinem Tod hat sie nicht aufgehört, mit ihm zu sprechen, abends vor dem Einschlafen oder wenn keine Kunden im Laden sind. Liest ihm sogar aus der Zeitung vor. Berichtet ihm von den Wahlen und Vorbereitungen, von den Schmerzen in ihrer Hüfte und dass sie nicht weiß, ob sie im August alle drei Tage schaffen wird … Mit einem Ruck reißt sie sich aus ihren Gedanken. Bambergers Wagen steht nicht mehr in der Einfahrt. Stattdessen wird bald einer von Scharnwebers vielen Kastenwagen vorfahren, die Heinrich schon vor zehn Jahren Leichenwagen genannt hat, als ob er genau gewusst hätte, was kommen wird. Die Uhr an der Wand zeigt fünf vor sechs.
    »So«, sagt sie in Lars Benners Richtung. »Dann schließ ich gleich mal ab hier.« Ein ganzes Blech voll Streuselkuchen, Bienenstich, Puddingplunder und Zupfkuchen steht auf der Ablage vor der Theke. Montags kaufen die Leute Brot, keinen Kuchen.Von dem ungefüllten Bienenstich schneidet sie zwei Stücke ab, steckt

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