Grenzlande 3: Das Vermächtnis (German Edition)
er sich auf das größte Abenteuer seines Lebens. Ich unterdrückte einen Fluch. Ungeachtet der sorgfältigen Reihenfolge des Trosses hatte ich gerade dem Sohn eines Herbergswirts erlaubt, vor der Leibwache des Königs zu reiten, vor etlichen Lords des Reiches und vor zwei Truppenkontingenten, von denen eines von einem leibhaftigen Prinzen angeführt wurde. Und ich wollte nicht einmal an die Reaktion des besagten Prinzen denken, wenn er herausfand, dass sein Koch meiner Obhut übergeben worden war. Ich konnte mir gut vorstellen, dass diese Reise in höchstem Maße aufregend werden würde.
»Und so beginnt es«, erklärte Laurel. Er spitzte die Ohren und hob sein Gesicht der Sonne entgegen.
»So beginnt es«, erwiderte Wyln, der ebenfalls den Kopf gehoben hatte. Sein Blick jedoch wirkte nachdenklich. »Ich frage mich, was uns dieser Anfang wohl bescheren wird.«
Ich blieb stumm. Ich wusste nicht viel von Anfängen, aber ein Teil meines Lebens war soeben zu Ende gegangen. Wir durchquerten das Osttor und ritten auf der Königsstraße, ließen Freston und den Lärm unserer Verabschiedung hinter uns. Ich blickte mich um. Noch nie hatte ich die Straße aus dieser Perspektive betrachtet, da das Tor während meines Dienstes in der Garnison stets geschlossen gewesen war. Dann warf ich einen Blick auf die Stadt, die über fünf Jahre lang mein Heim und mein Zufluchtsort gewesen war. Auch sie wirkte von diesem Standpunkt aus fremd; sie lag gleichsam vergänglich in der Morgensonne, als würden sie und alles andere wie ein halb vergessener Traum in dem Licht des Morgens verblassen. Die Straße beschrieb eine Kurve; ich sah, wie die letzten Adligen und ihre Bewaffneten ebenfalls durch das Tor ritten und jetzt die Königsstraßen-Patrouille aus dem Schatten des Torhauses kam. Nur Hauptmann Suiden und die Bergpatrouille waren noch in der Stadt, und dem Lärm nach zu urteilen, jubelten die Einwohner ihnen ebenso laut zu, wie sie den König verabschiedet hatten. Ich wollte mich gerade wieder umdrehen, als mir etwas auffiel und ich genauer hinsah. Wir waren durch den Wein geritten, den der Doyen aus Cosdale geopfert hatte, und hatten Spuren davon auf der Straße hinterlassen. Ich sah Hufspuren, Abdrücke von Laurels Tatzen. Der geweihte Wein schimmerte dunkelrot im Staub. Dunkelrot wie Blut.
4
Mearden lag an der Westküste des Königreiches, wo der Artole ins Meer mündete. Ich hatte die Entfernung auf Jussons Karten geschätzt und vermutete wegen der Länge des königlichen Trosses, der sich von hier bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien, dass wir über drei Wochen brauchen würden, bis wir dort eintrafen. Ich sollte mich irren. Wir benötigten vierzehn Tage. Jusson bewies, dass er eine eiserne Konstitution und einen Hintern aus Stahl besaß. Er gab morgens unmittelbar nach Tagesanbruch das Zeichen zum Aufbruch, legte ein gewaltiges Tempo vor, machte nur einmal kurz Mittagspause, und so ging es weiter bis zum Anbruch der Dunkelheit, wenn wir das Nachtlager aufschlugen. Die Reise war ebenso anstrengend wie die Patrouillen in den Bergen über Freston. Ich sank abends todmüde auf meine Pritsche und schlief bis zum Weckruf am nächsten Morgen wie ein Stein.
Am ersten Tag erklommen wir den Bergpass, der aus dem Tal von Freston hinaus über das Gebirge führte. Wir hatten bereits den größten Teil des Abstiegs nach Cosdale hinter uns, und als die langen Schatten allmählich in die Dunkelheit der Nacht übergingen, gab Thadro endlich das Signal. Wir bogen von der Straße auf eine große Waldlichtung ab, wo uns Haushofmeister Cais und eine Legion von Bediensteten bereits erwarteten. Hier erfuhr ich, welchen Unterschied es machte, als Soldat in der Königlichen Armee oder mit dem König selbst zu reiten. Statt des üblichen Biwaks, bei dem die Soldaten die Zelte aufschlugen, ritten wir in ein bereits errichtetes Lager. Die Zelte waren in säuberlichen Reihen aufgestellt, Kochfeuer brannten, und die Latrinengruben waren ebenfalls ausgehoben. Mitten im Lager stand der königliche Pavillon, innen und außen hell erleuchtet, und auf seinem Dach flatterten Fahnen bei jedem Windstoß. Die Standartenträger an der Spitze unseres Zuges stiegen sofort ab, marschierten zum Zelt des Königs und pflanzten die Standarten in die Erde vor dem Zelt. Nur für den Fall, dass jemand sich fragte, wem das Zelt wohl gehörte. Jusson und Thadro glitten ebenfalls aus ihren Sätteln, folgten den Fahnenjunkern und verschwanden im Inneren des
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