Grenzwärts
Aber das ging schief, denn kurz bevor die ihr Hotel in Bogatynia verlassen konnten, tauchten die Gussinskis auf – aber das erzähle ich Ihnen auf dem Weg.« Er sah die Petkovic an. »Nehmen wir meinen Wagen oder Ihren?«
»So forsch unterwegs?«, staunte die Petkovic. »Was ist denn aus Ihrer sächsischen Zurückhaltung geworden?«
»Der Ossi emanzipiert sich«, erwiderte Schwartz ungeduldig. »Nun kommen Sie schon, wir wollen die Privaträume und die Spedition von diesem Paich mal unter die Lupe nehmen …« Er unterbrach sich, denn von hinten war ein Grenzbeamter an ihn herangetreten. »Was ist denn?«
»An der Neiße wurde eines der Volleyballmädchen aufgegriffen.« Der Beamte drückte ihm etwas Durchgeweichtes in die Hand. »Das hatte sie dabei.«
Ein Stück einer Zigarettenschachtel Marke Karo? Schwartz sah fragend auf.
»Die andere Seite«, erklärte der Grenzbeamte.
Schwartz drehte das Pappstück um. Da war etwas in verschwommener Schrift draufgekritzelt: Pension Johannishof, Zimmer vier.
Na, das ist ein Ding, dachte er verblüfft.
Die Petkovic beobachtete ihn. »Stimmt was nicht?«
»Keine Ahnung«, erklärte Schwartz nachdenklich. »Nehmen Sie Ihre Ente und fahren Sie schon mal vor«, sagte er schließlich, »ich komme dann nach. Ich muss noch mal kurz woandershin.«
Er lief zu seinem Wagen hinüber.
»Wo muss ich denn hin?«, rief ihm die Petkovic nach.
»Äußere Weberstraße«, antwortete er, »nehmen Sie ein paar Streifenwagen mit! Und den Pagels auch.« Er winkte ihr zu und fuhr davon.
»Na, so langsam«, sagte Liliana Petkovic mehr zu sich, »kommt doch Schwung in die schwäbisch-kroatisch-ostdeutsch-afrikanische Beziehung.«
54
DREI KURZE SCHLÄGE und vier lange. Erschöpft und frierend stand Julia vor ihrer Zimmertür in der Pension »Johannishof« und wartete einen Augenblick, bevor sie aufschloss. Beziehungsweise aufschließen wollte, denn es war gar nicht abgeschlossen, und das war ein ungutes Zeichen. Ein verdammt ungutes Zeichen. Mit patschenden Schuhen lief Julia ins Zimmer hinein und sah sich um.
»Swetlana?«
Keine Antwort. Julia sah unter dem Bett nach, hinter den Vorhängen und im Bad, aber Swetlana war nicht da.
Das gibt’s doch nicht, dachte Julia verzweifelt, hat die Rouché etwa …?
Plötzlich klopfte es an der Tür. »Entschuldigung?«
Eine männliche Stimme. Julia wusste nicht genau, ob und wo sie sie schon mal gehört hatte.
»Oberkommissar Schwartz, ich muss einen Sachverhalt klären.«
Scheiße, der Polizist! Julia rannte hektisch ins Bad, denn schon öffnete sich die Tür, und der Kommissar sah fragend ins Zimmer.
»Jemand zu Hause?«
Julia trat, in ein riesiges Badehandtuch gehüllt, aus dem Bad und rubbelte sich mit einem weiteren Handtuch die nassen Haare, als wäre sie aus der Dusche gekommen.
»Ach, Sie sind das«, lächelte Schwartz.
»Haben Sie jemand anderen erwartet?« Julia bemühte sich, so relaxed wie möglich zu klingen und vor allem nicht mit den Zähnen zu klappern.
»Ich weiß nicht.« Der Oberkommissar sah sich neugierig im Zimmer um. »Ich hatte keine Ahnung, wen ich hier antreffen würde.«
»Und jetzt sind Sie enttäuscht?«
»Nicht unbedingt. Tut mir übrigens leid, wenn ich Sie im Bad gestört habe.« Er sah etwas irritiert auf ihre Füße. »Duschen Sie mit Schuhen?«
»Was?«
Mist, er hatte ihre nassen Schuhe bemerkt. Kein Wunder, die quietschenden Dinger machten ziemlich auffällige feuchte Spuren auf der Auslegware.
»Ähm, ja, äh …«, Julia überlegte. »Damit man nicht ausrutscht.«
Schwartz verstand nicht gleich.
»In der Dusche«, setzte Julia hinzu.
»Mhm«, nickte Schwartz, »da würde ich aber lieber Gummischuhe nehmen. Das Wasser schadet dem Leder nur.«
»Ich habe meine Badelatschen vergessen.«
»In Düsseldorf«, nickte Schwartz.
»In Düsseldorf, ja.« Julia sah ihn fragend an. »Wollen Sie was von mir, oder …?«
»Schon möglich.« Schwartz hielt ihr den pappigen Rest der Karoschachtel hin. »Schauen Sie mal. Da steht Ihre Zimmernummer drauf.«
Julia schluckte und trieselte nervös eine ihrer feuchten Haarlocken.
»Das hatte eine minderjährige illegale Einwanderin dabei«, erklärte Schwartz, »die vorhin an der Grenze aufgegriffen wurde.«
»Aha«, machte Julia.
»Sieht aus, als wollte das Mädchen zu Ihnen.« Schwartz schloss die Zimmertür und lehnte sich gegen die Wand. »Würden Sie mir das erklären? Und versuchen Sie bitte, nicht allzu subjektiv mit Ihrer Wahrheit zu
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