Grenzwärts
»und es war auch nicht abgesprochen.«
»Ich bitte Sie, Fräulein Latte, Sie haben mich gestern noch beide zu Tode erschreckt mit Ihren Geisterspielen.«
»Geisterspiele?«
»Oder warum auch immer Sie ein Laken über dem Kopf hatten. Was war denn das für eine Übung?«
Sie bekam keine Antwort mehr, denn Julia hatte schon ihr Badehandtuch fallen lassen und war auf die Straße gerannt.
55
SCHWARTZ SASS IN SEINEM WAGEN, als er den Anruf bekam. Düdeldüdeldü. Das Funktelefon. Und er mitten im Verkehr. Man konnte von der Inneren Weberstraße aus nicht einfach den Altstadtring kreuzen, um in die Äußere Weberstraße zu gelangen, denn das war eine Einbahnstraße aus der Gegenrichtung. Man musste erst links auf den Ring, dann rechts in die Äußere Oybiner und noch mal rechts in die Rathenaustraße rein, um dann von hinten über die Dresdener wieder auf die Weberstraße zu kommen – kurz: Schwartz war mit dem Autofahren mehr als beschäftigt, und ausgerechnet jetzt machte es düdeldüdeldü …
Die linke Hand am Steuer, wühlte er mit der rechten in seiner Aktentasche und holte das Funktelefon heraus.
»Anruf!«, meldete das Display, »Anruf!«
Schwartz zog die Antenne heraus und drückte die grüne Taste, dann klemmte er sich das Telefon ans Ohr.
»Schwartz, wo stecken Sie?«, knarzte die Petkovic. »Roland Paich liegt tot in seiner Spedition. Erschossen!«
»Teufel noch mal«, Schwartz gab Gas, »ich bin in drei Minuten da.«
Er warf das Funktelefon auf den Beifahrersitz, griff ins Handschuhfach nach dem Blaulicht und ploppte es, da die Déesse ein Kunststoffdach hatte, vorn links auf den Kotflügel. Dann schaltete er sein französisches Martinshorn ein und kam so gleichzeitig mit dem Bulli der Kriminaltechnik in der Spedition an.
Ein Porsche stand mit geöffneten Türen im Hof, Polizisten waren noch mit dem Absperren des Tatorts beschäftigt.
Schwartz sprang aus seiner Déesse. »Die Leiche?«
»Erster Stock«, einer der Polizisten deutete zum alten Speicher, »das Büro.«
»Danke.« Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Oben lehnte Liliana Petkovic in einem Türrahmen und rauchte.
Schwartz schob sie etwas beiseite und warf von der Türschwelle aus einen Blick auf die zwischen Aktenregal und Schreibtisch liegende Leiche. Ein junger Mann, vielleicht Anfang, Mitte zwanzig. Ein Einschussloch zwischen den Augen, um seinen Kopf herum hatte sich eine Blutlache gebildet.
»Tja«, sagte die Petkovic trocken, »das war’s dann wohl.«
Die Spurensicherer kamen mit ihren Analysekoffern die Treppe hoch. Schwartz machte ihnen Platz.
»Wenn Sie hier fertig sind, nehmen Sie sich bitte gleich den Porsche unten vor«, sagte er, »wir haben den Verdacht, dass er von den Mördern benutzt wurde.«
»Glauben Sie, die haben Fingerabdrücke hinterlassen? Die Gussinskis doch nicht.«
»Vielleicht hat sie jemand kommen oder gehen sehen«, überlegte Schwartz. »Wir müssen sämtliche Leute in der Umgebung befragen.«
»Das hat keinen Sinn. Die Gussinskis hat niemand gesehen«, sagte Liliana Petkovic. »Die sieht nie jemand. Die sind quasi unsichtbar, verstehen Sie?«
»Nein«, erwiderte Schwartz, »verstehe ich nicht. Was wollen Sie mir sagen?« Er starrte sie ungehalten an. »Dass die hier jeden umlegen können, so wie sie gerade Lust haben? Gut, dann lassen wir die Ermittlungen doch ganz und gehen stattdessen einen Kaffee trinken.«
»Sie brauchen keinen Kaffee«, entgegnete die Petkovic, »Sie brauchen Schlaf. Gehen Sie ins Bett, Schwartz, hauen Sie sich aufs Ohr. Dann wird Ihre Laune auch wieder besser.«
Vielleicht hat sie recht, dachte Schwartz, denn er fühlte sich wie gerädert.
»Wen suchen die«, überlegte Liliana Petkovic, »was haben die vor?«
»Sie machen die Konkurrenz klein«, antwortete Schwartz, »indem sie sie töten. Und suchen tun sie die kleine entlaufene Hure aus dem Bus.«
»Weil sie eine Zeugin ist?«, fragte die Petkovic.
Schwartz nickte. »Schon möglich. Und weil sie Geld bringt.«
»Weil es ums Prinzip geht«, setzte die Petkovic hinzu. »Den Gussinskis haut keiner so einfach ab.«
»Oh doch«, widersprach Schwartz, »der BGS hat ein zweites Mädchen abgefangen. Jelena Stankova.«
»Tatsächlich?« Liliana Petkovic lächelte unmerklich. »Dann haben die Gussinski-Brüder ja heute einen richtig schlechten Tag erwischt.«
»Vielleicht sollten wir das ausnutzen«, sagte Schwartz. Die Frage war nur, wie?
»Die Leiche kann schon mal abtransportiert werden«, meldeten die
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