Grenzwärts
tun?«
»Piontek«, sagte Schwartz und sah sich um, »arbeitet der noch hier?«
»Welchen Piontek meinen Sie denn? Den Alten oder den Junior?«
»Ach, ist sein Sohn inzwischen auch bei der Polizei?« Schwartz grinste. »Sieh einer an.«
Die Polizistin musterte ihn skeptisch. »Haben Sie irgendeine alte Rechnung offen?«
»Seh ich so aus?« Schwartz erwiderte ihren Blick.
»Irgendwie schon«, antwortete die Polizistin und drückte einen Knopf an der Sprechanlage. »Piontek eins und zwo, hier ist ein Neger, der euch sprechen will.«
Und dann erschienen sie: Klaus Piontek, Ex-Oberleutnant der VP und inzwischen leicht ergrauter Kommissar der Görlitzer KPI , sowie sein Sohn, Hauptwachtmeister Tobias Piontek.
»Brauner«, riefen beide unisono, als sie Schwartz erkannten, »was machst du denn hier?«
Sie hatten ihn immer »Brauner« genannt. Was nicht unfreundlich gemeint war. Eher wie ein Spitzname. Andere hießen Klette, Hammer oder Leiche, Schwartz war immer der »Braune« und trotzdem einer von ihnen.
»Ist das ‘ne Freude!« Der alte Piontek hatte Tränen in den Augen. »Mensch, dass du dich mal blicken lässt …«
Sie umarmten sich wie alte Kumpels, und die Polizistin am Tresen seufzte genervt. Sie war nicht involviert. Wie auch, so blutjung, wie sie war. Was konnte sie schon von den alten Zeiten der Görlitzer Volkspolizei wissen? – Nichts. Absolut nichts.
Tobias, der kleine Piontek, den alle Tobi nannten, war ein paar Jahre jünger als Schwartz und zu DDR -Zeiten Punk gewesen, der öfter Ärger mit der Staatsmacht hatte. Umso erstaunlicher war es, dass er nun in die Fußstapfen seines Vaters getreten und auch Polizist geworden war.
»Nun«, lächelte Tobi verlegen, »ich hab mich überzeugen lassen, dass so eine Beamtenlaufbahn im unsicheren Westen nicht das Schlechteste ist.«
»Und man ist fast immer auf der richtigen Seite«, bekräftigte der Alte, »aber nur fast.«
»Optimal kriegst du’s nie«, erwiderte Tobi, und sein Vater ergänzte: »Die Frage ist, was man draus macht.«
Er klopfte Schwartz auf die Schulter. »Mensch, Brauner, erzähl: Wie ist es dir ergangen, in den letzten Jahren?«
Wie solle es ihm schon groß ergangen sein, wich Schwartz aus. Da war nichts Besonderes. Er hatte sich geweigert, gegen die Demonstranten am Dresdner Hauptbahnhof vorzugehen, damals, als die Züge mit den Prager Botschaftsflüchtlingen durch die Stadt geleitet worden waren.
»Eine Idiotie war das«, nickte Piontek senior nachdenklich. »Gut, dass du da nicht mitgemacht hast.«
Das und der Umstand, von Susans Vater wegen deren Flucht, und somit von der Stasi, verfolgt worden zu sein, habe ihm die Karriere gerettet. Anders als viele andere Kollegen war er nach der Einheit nicht dienstgradmäßig zurückgestuft worden.
»Eine Sauerei auch das«, fanden die Pionteks. »Warst du nicht auch in Berlin?«
»Nur ein halbes Jahr«, nickte Schwartz, »von Mai bis November 90.« Er lachte. »Ich dachte, da ist wenigstens was los, in unserer alten, neuen Hauptstadt. Aber letztlich war mir Berlin dann doch zu laut und zu unübersichtlich.«
»Ist Dresden besser?«
»Viel besser«, antwortete Schwartz, »optimal eigentlich.«
»Optimal kriegst du’s nie«, wiederholte Tobi Piontek.
»Dresden ist in Ordnung«, versicherte Schwartz, »nicht zu groß, nicht zu klein. Eine gemütliche Großstadt irgendwie. Ich bin da wirklich gern.«
»Und was machst du dann hier?« Der alte Piontek hatte nichts von seinem Riecher verloren. Er wusste, dass der Braune nicht nur zu Besuch da war.
»Kuhnt«, sagte Schwartz und hob bedauernd die Hände, »ich ermittle im Fall Jochen Kuhnt.«
»Der BGS -Mann?« Klaus Piontek schüttelte den Kopf. »Der Fall ist abgeschlossen.«
»In Dresden gibt es einige Zweifel«, erwiderte Schwartz, »an der Selbstmordtheorie.«
»Du liebe Güte«, stöhnte Tobi.
»Vicky!«, rief Klaus Piontek der Polizistin am Tresen zu. »Besorgst du uns mal die Kuhnt-Akte?«
»Okay, Chef!« Vicky verschwand im Archiv.
»Und wir«, Klaus Piontek wies einladend den Weg, »machen es uns erst mal in meinem Büro gemütlich.«
Es war ein wahrer Wald aus Gummi- und Affenbrotbäumen. Überall standen sie herum, gewaltige Gewächse mit oberarmdicken Stämmen und fleischigen Blättern, bis unter die Decke hoch zwischen den Schreibtischen, vor Ablagen und am Fenster.
»Ich mag es gerne grün«, erklärte der alte Piontek, »und Hydrokulturen brauchen nur wenig Pflege.« Er warf die Kaffeemaschine an.
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