Grenzwärts
Schwartz, während die Groschen fielen und er schnell welche nachwarf, damit die Verbindung nicht unterbrochen wurde.
»›Schnitzelparadies‹ am Veilchenberg«, antwortete Goldenbaum, »Abfahrt Bautzen-West, rechts die B96 runter und die erste links. Können Sie nicht verfehlen.«
»In Ordnung«, Schwartz notierte es sich, »also bis gleich.«
Dann war die Verbindung tot und er seine Münzen los. Von wegen, Aluchips seien nichts wert gewesen. Früher konnte man mit nur zwanzig Ostpfennigen, die im Übrigen eine Messinglegierung waren, wesentlich länger telefonieren, auch außerorts. Aber egal, Schwartz wusste, was er wissen musste, und machte sich auf den Weg.
Der Veilchenberg war eine Wohnsiedlung, nicht weit von der Autobahn. Man konnte sie hören. Kleinere, grau verputzte Mehrfamilien- und Reihenhäuser hinter liebevoll gepflegten Vorgärten säumten die Straße.
Auch das ›Schnitzelparadies‹ befand sich in einem dieser Häuser. Offenbar hatte eine Familie ihr Eigenheim zum Lokal umfunktioniert. In dem mit einem Jägerzaun begrenzten kleinen Garten standen ein paar Tische und Stühle, aber die waren aufgrund des schlechten Wetters heute nicht nutzbar. Vorsichtig öffnete Schwartz die Haustür und linste hinein.
»’tschuldigung«, rief er und »Kundschaft!«, dann trat er, gelockt von Küchendüften, ein und setzte sich an einen der vier Tische in dem kleinen Gastraum, der früher einmal das Wohnzimmer gewesen war.
»Von irgendwas müssen wir ja leben«, sagte die Wirtin, nachdem Schwartz gefragt hatte. »Wir sind beide kurz nacheinander arbeitslos geworden. Erst mein Mann, dann ich. Und dabei hatten wir gerade erst das Haus hier gekauft. Da wollen die Raten gezahlt und Kinder versorgt werden und, und, und …« Sie legte ihm eine mit Schreibmaschine getippte Speisekarte in einer Klarsichthülle auf den Tisch. »Also haben wir uns kurzerhand selbstständig gemacht.« Sie grinste. »Seitdem arbeiten wir wieder. Selbst und ständig. – Bier?«
»Wasser, bitte«, antwortete Schwartz und studierte die Karte.
»Ist schon unterwegs.« Die Wirtin verschwand im Durchgang zur Küche.
Schwartz sah sich um. An einem der Tische saßen vier Handwerker in Latzhosen bei der Mittagspause und redeten davon, dass irgendein Aufmaß nicht stimme, was großer Mist sei, ganz großer Mist, aber es wäre ja was Neues, wenn einfach mal was reibungslos klappte.
Einen Tisch weiter saß sich ein älteres Ehepaar gegenüber, ohne vom jeweils anderen Notiz zu nehmen. Beide sahen desinteressiert und gedankenverloren aus dem Fenster, zwischen sich zwei angefangene Tassen Kaffee, und sagten kein Wort. Vermutlich waren sie nur noch aus Gewohnheit zusammen.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein hochgewachsener, hagerer Mann in Zivil kam herein und sah sich prüfend um. Auffällig waren die tief liegenden Augen und die enorme Hakennase. Ein Gesicht wie ein Adler. Er marschierte zum einzig freien Tisch, setzte sich und schlug eine Zeitung auf, um darin zu lesen.
Schwartz überlegte. Ob das Goldenbaum war? Er hatte einen Mann in BGS -Uniform erwartet.
»Ein Glas Wasser, bitte sehr!« Die Wirtin stellte es dem Oberkommissar auf den Tisch. »Wissen Sie schon, was Sie essen wollen?«
»Ja, ich nehme das Cordon bleu.«
»Pommes oder Kroketten dazu?«
»Ähm …« Schwartz hob die Schultern. »Kroketten.«
»Alles klar.« Die Wirtin nahm die Speisekarte und legte sie dem Adlergesicht vor. »Fanta, wie immer?«
»Gern«, knurrte der Hagere und schob die Karte von sich. »Bestellung kommt später, ich erwarte noch jemanden.«
Schwartz erhob sich und nahm sein Wasserglas mit. »Verzeihen Sie. Herr Goldenbaum?«
Der Hagere sah skeptisch auf. »Und Sie?«
»Schwartz, Polizeidirektion Dresden. Wir hatten telefoniert.«
»V-verzeihen Sie!« Der Hagere deutete verblüfft auf einen Stuhl. »Aber ich hatte gewiss keinen …«
»… Neger vermutet, ich weiß.« Schwartz setzte sich lächelnd.
»So drastisch hätte ich das nicht ausgedrückt«, sagte der Hagere und redete flüssig englisch weiter. »Goldenbaum! Nice to meet you, Mr. Schwartz. I think, it’s better …«
»Oh, bitte nicht«, wehrte Schwartz mit erhobenen Händen ab, »wir sollten uns ruhig auf Deutsch unterhalten.«
Goldenbaum beugte sich vor und sah Schwartz aus seinen tief liegenden Augen an. »Aber Englisch ist ideal.« Er nickte zu den anderen Tischen rüber. »Versteht keiner von den Ossis. Falls doch jemand lauscht.«
»Dann sollten wir
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