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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Hände zitterten zu sehr. Schließlich warf er die Zigarette ungeraucht weg und brach verzweifelt in Tränen aus. Es ging nicht anders. Er konnte nicht mehr.
    Und dann stapfte er heulend wie ein Kind und mit hochgezogenen Schultern durch Lehm und Matsch davon.
    Vierundzwanzig Stunden, dachte er hilflos, nur vierundzwanzig Stunden …

37
    »GEHT’S WIEDER?«  Prüfend besieht sich Piet mein Gesicht. »Hast ein ganz schönes Veilchen.«
    »Der Bimbo hatte ja auch einen verdammt harten Schlag«, erwidere ich.
    »Nigger bei den Bullen!« Piet ist noch immer völlig fassungslos ob dieser Tatsache. »Kein Wunder, wenn das Land überfremdet.«
    Wir sitzen am Baggersee. Nieseliger Wind treibt kleine Wellen über das Wasser. Mein  GAZ  parkt neben dem alten Bauwagen. Auf der Herfahrt habe ich Piet von meinen erfolglosen Bemühungen erzählt, die Urheber des Brandanschlags ausfindig zu machen.
    Aber Piet meint, es sei doch schon ein Riesending, dass ich überhaupt herausgefunden habe, wer den Vectra gemietet hat.
    »Echt mal jetzt. Du solltest Privatdetektiv oder so was werden, da hast du Talent wie Jim Rockford.«
    »Vergiss es! Ich hab mich reinlegen lassen.« Ich sehe nach, wie viel Schuss noch in Rolands tschechischer Armeepistole sind. Das Magazin fasst acht Patronen, vier haben wir bereits beim letzten Mal verballert. »Wie soll ich Jule jetzt beweisen, dass wir damit nichts zu tun haben?«
    »Die soll sich nicht so haben, Mann.« Piet spuckt verächtlich aus. »Waren doch nur russische Nutten.«
    »Die hat sich aber nun mal so«, entgegne ich, »die ist pi ßi.« Ich benutze absichtlich Rolands Begriff, weil er sich so bekloppt anhört. Wie Pisse. Entsprechend erstaunt guckt mich Piet auch an.
    »Was ist die?«
    »Pi ßi«, wiederhole ich, »das ist ein Westbegriff für Zecke oder so. Linke Typen halt.«
    »Mhm«, Piet nickt nachdenklich, »macht Sinn.«
    »Jedenfalls komm ich nicht an sie ran«, stelle ich bekümmert fest und visiere den Bagger an. »Die hält mich für einen Arsch und aus. Sie hasst mich, glaube ich.«
    »Würde ich nicht sagen.« Piet stößt mich an.
    »Hey«, knurre ich, »ich ziele gerade.«
    »Guck doch mal!« Piet schubst mich stärker.
    Ungehalten lasse ich die Waffe sinken. »Was ist denn?« Und dann sehe ich, was ist.
    Jule kommt mit einem alten Herrenfahrrad heran und weicht sorgsam den tiefen Lehmpfützen aus. Die Kapuze des Anoraks ist ihr vom Kopf gerutscht, das Gesicht leicht gerötet vom schnellen Fahren, ihr Haar wuselt im Wind.
    »Hallo«, sagt sie und bleibt unschlüssig stehen.
    »Hallo«, gebe ich zurück, sichere die Pistole und stecke sie westernmäßig hinter meinen Gürtel. »Hat Don Rolando dir ‘n Fahrrad spendiert?«
    »Ich hab’s mir von Herrn Rouché geliehen.« Jule sieht widerwillig auf die Pistole. »Du hast sie also noch?«
    »Nein, das ist eine optische Täuschung«, erwidere ich und höre Piet leise feixen.
    »Und?« Ihre Stimme kriegt schon wieder diesen seltsam schrillen Unterton. »Wen willst du damit töten?«
    »Keine Ahnung«, ich kann vor Piet unmöglich das verliebte Weichei spielen, und so gebe ich den Harten, »kommt drauf an!«
    »Worauf?«
    Ich zucke mit den Schultern.
    Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an und zwirbelt unschlüssig eine ihrer Haarlocken.
    »Ähm.« Piet kratzt sich verlegen am Kopf. »Ich geh dann mal besser, was?«
    Ich sage kein Wort. Aber Jule nickt unmerklich und sieht Piet hinterher. Gemächlichen Schrittes trabt er davon.
    »Ich hab dich überall gesucht«, sagt sie schließlich und lehnt ihr Fahrrad – oder besser das Fahrrad vom ollen Rouché – an den Bauwagen und stutzt. »Guck mal! Das steht da immer noch.«
    Ich weiß, denke ich.  »Kudella liebt Jule« , steht da, beziehungsweise  »Roland liebt Jule«.
    »Ich hab mich selber durchgestrichen damals«, lüfte ich eines meiner kleinen bitteren Geheimnisse. »Und ›Roland‹ drüber geschrieben.«
    »Das war‘n noch Zeiten damals, was?« Sie lächelt schwach.
    »Bessere Zeiten.«
    »Findest du?«
    Ja, denke ich. Totalitäre Systeme haben einen entscheidenden Vorteil: Es gibt klare Ansagen. Entweder du hältst dich dran, dann wirst du in Ruhe gelassen. Muckst du auf, hast du ein Problem. Deine Entscheidung. Schwarz oder weiß, dazwischen gibt es nichts. Heute dagegen ist alles grau. Sie halten es für bunt, aber wer Schwarz und Weiß durcheinanderschüttelt, merkt schnell: Das gibt nur ein beschissenes Grau. Die viel beschworene Vielfalt, diese wirre

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